Ich ein Tag sprechen huebsch
ihnen rufen, sie wären müde und dreckig und reif für den nächsten Flieger nach Hause. Die Stimme klang erschöpft und ausgebrannt, und ich konnte mich völlig mit dem Sprecher identifizieren. Bei meinem letzten Besuch in Houston war es mir genauso ergangen.
Zu den Klängen von »Texas, Our Texas« stiegen Hugh und ich in eine andere Linie um, in der ein amerikanisches Ehepaar Ende Vierzig sich eng an die Haltestange im Waggon klammerte. Obwohl kein Schild einen ausdrücklich darauf hinweist, sind diese Stangen nicht für den Privatgebrauch gedacht. Sie sind für alle da. Man umklammert sie nicht wie die Rutschstange bei der Feuerwehr, sondern man hält sich vorzugsweise mit einer Hand an ihr fest und tritt ein Stück zur Seite. Es ist wirklich nicht schwer zu begreifen, selbst wenn man aus einer Stadt ohne öffentliches Verkehrsnetz kommt.
Als der Zug anfuhr, schob ich meine Hand auf der Suche nach einem Halt zwischen den beiden Amerikanern durch und fasste die Stange in Hüfthöhe. Im gleichen Moment drehte sich der Mann zu seiner Frau um und sagte: »Puuuuh, riechst du das? Das ist das echte französische Parfüm, Baby.« Er nahm eine Hand von der Stange, um damit vor seinem Gesicht zu wedeln. »Keine Frage«, sagte er, »der kleine Froggy hier ist reif.«
Es dauerte einen Moment, bis ich registrierte, dass er von mir redete.
Die Frau verzog ihre Nase. »Mein liebster Herr Jesus!« stöhnte sie. »Stinken die alle so?«
»Die meisten«, erwiderte der Mann. »Ich wette, unser kleiner Freund hat seit zwei Wochen kein Badezimmer mehr von innen gesehen. Mein Gott, also echt, man müsste dem Kerl ein Duftbäumchen umhängen.«
Die Frau lachte und sagte: »Ich mach mir wegen dir noch mal in die Hose, Martin. Ich sag's dir.«
Viele amerikanische Touristen glauben irrtümlicherweise, sich unter lauter Franzosen zu befinden, die alle kein Englisch verstehen. Die beiden sahen nicht einmal wie besonders gehässige Leute aus. Daheim wären sie wohl anständig genug gewesen zu flüstern, aber hier hatten sie das Gefühl, sich völlig unbekümmert und in normaler Lautstärke über alles auslassen zu können. Gerade so, als stünden sie vor einem Gebäude oder einem Gemälde, das ihnen besonders missfiel. Ein erfahrener Reisender hätte mit einem einzigen Blick auf meine Schuhe erkannt, dass ich kein Franzose sein konnte. Und selbst wenn ich Franzose gewesen wäre, lässt sich nicht behaupten, dass Englisch ein obskurer Stammesdialekt wäre, der nur von Anthropologen und einer Handvoll Kannibalen gesprochen wird. Tatsächlich wird Englisch in Schulen rund um die Welt gelehrt. Und es gibt keine Eignungstests. Jeder kann es lernen. Selbst Leute, die angeblich stinken, obwohl sie kurz zuvor gebadet haben und frische Kleidung tragen.
Weil sie mich mit der Langweilervokabel Froggy bezeichnet und sich über meinen Geruch beschwert hatten, durfte ich sie ohne schlechtes Gewissen hassen, soviel ich wollte. Ich war darüber ausgesprochen glücklich, da ich sie vom ersten Augenblick an hassen wollte, als ich in den Zug gestiegen war und sie die Haltestange umklammern gesehen hatte. Durch ihre Beleidigungen von allen Skrupeln entbunden, durfte ich nach Lust und Laune über Martins Outfit herziehen: seine Baumwollshorts mit Bügelfalte, die Baseball-Kappe, das T-Shirt mit dem Aufdruck einer Pizzeria in San Diego. Um den Hals baumelte eine Sonnenbrille an einem fluoreszierenden Band, und die brandneuen, von beiden im Partnerlook getragenen Turnschuhe deuteten darauf hin, dass sie sich für den Abend schick gemacht hatten. Nichts gegen bequeme Kleidung, aber es erscheint ziemlich ungehobelt, sich beim Besuch eines fremden Landes so zu kleiden, als wolle man irgendwo dort den Rasen mähen.
Inzwischen war der Mann mit Namen Martin dazu übergegangen, seiner Frau zu erklären, was er my Paris nannte. Er studierte den Metroplan und verkündete, am irgendeinem Tag würde er mit ihr den Louvre besuchen, wobei er die Silben übertrieben auseinanderzog und Loov-rrah sagte. Es steht mir nicht zu, mich über anderer Leute Aussprache lustig zu machen, aber der Kerl tat, als wäre er der große Experte. »Yeah«, sagte er schnaubend, »ich dachte, wir fahren da irgendwann die Woche mal vorbei und werfen kurz einen Blick rein. Ist nicht jedermanns Sache, aber ich hab irgendwie das Gefühl, es könnte dir gefallen.«
Viele Lernte fürchten die Pariser, aber ein Amerikaner in Paris wird keinen schärfen Kritiker finden als einen Landsmann.
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