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Ich ein Tag sprechen huebsch

Ich ein Tag sprechen huebsch

Titel: Ich ein Tag sprechen huebsch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Sedaris
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applaudierte. Im Gegensatz zu einem Stierkampf ging es bei der Veranstaltung weder um irgendein Geschick noch um die Illusion zweier gleichwertiger Gegner. Das Spiel war eindeutig unausgeglichen. Eine Vachette konnte sich einen Kratzer am Horn holen oder einen Nackenmuskel zerren, wenn sie einen Freiwilligen durch die Luft schleuderte. Oder ihr konnte ein Stück vom Huf abbrechen, wenn sie einem Gegner vor den Schädel trat, aber ansonsten bestand für sie keinerlei ernste Gefahr. Der Krankenwagen neben dem Bierstand wartete gewiss nicht auf sie, und sie schien das auch zu wissen. Andererseits fiel es schwer, größere Sympathien für die Freiwilligen zu entwickeln, die sich aus freien Stücken darauf eingelassen hatten, ein gefährliches Tier zu reizen.
    Der Nachmittag hatte gerade erst begonnen, aber ich stellte mir bereits vor, was ich empfände, wenn jemand ernsthaft verletzt würde - vielleicht nicht gleich getötet oder gelähmt, aber doch richtiggehend verletzt. Genauso interessant war andererseits die Frage, was ich fühlen würde, wenn niemand ernsthaft verletzt würde. Bestand nicht gerade darin das Versprechen, sich mit einer Vachette einzulassen? Wäre es darum gegangen, uns zu Herzen zu rühren, würden die Männer Fußball gegen ein neugeborenes Kalb spielen. Dabei hatten meine Hoffnungen nichts mit den zufällig in der Arena Versammelten zu tun. Ich hatte nichts gegen diese Männer und wünschte auch keinem von ihnen Böses. Ich kämpfte lediglich mit der Vachette in mir selbst und versuchte die Tiefen meiner eigenen Unmenschlichkeit zu ergründen. Mein Gewissen plagte mich seit ungefähr einem Monat, seit dem Abend, an dem Hugh und ich einen riesigen, Kopfschmerzen verursachenden Rummel besucht hatten, der jedes Jahr in Paris stattfindet. Wir waren die Hauptachse entlang geschlendert, als ich plötzlich eines der Karussells mitten in der Fahrt erstarrt sah, so dass mehrere Fahrgäste praktisch in der Luft baumelten. Zunächst kam mir das nicht weiter ungewöhnlich vor, da die Erfinder dieser Maschinen mittlerweile nicht mehr davor zurückzuschrecken schienen, ihre Attraktionen ein gutes Stück fieser zu machen, als sie eigentlich sein müssten. Etwas durfte nicht einfach nur vor- und zurückschleudern, sondern musste sich gleichzeitig um die eigene Achse drehen, ruckweise hoch- und runterhüpfen und durch eine Brackwasserfontäne jagen. Man hatte alle Anstrengungen unternommen, damit den Fahrgästen anschließend speiübel war, und den Massen schien es zu gefallen. Als ich das defekte Karussell erblickte, dachte ich zuerst, das Gerät müsse in bestimmten Abständen anhalten, um den Mitfahrern ein deutliches Gefühl ihrer unbequemen Lage zu vermitteln. Ich drehte mich zur Seite, wo ein blau angelaufener Teenager gerade gegen eine Karamelbonbonbude kotzte, doch als ich wieder hochsah, stand das Karussell immer noch still, und unten begannen die Menschen zusammenzulaufen.
    Ich weiß nicht, was das Gerät mit den Leuten anstellt, wenn es funktioniert, aber wenn es das nicht tut, hängen die Mitfahrer in metallene Kabinen geschnallt in seltsamen Winkeln in der Luft. Ein Paar schwebte in dreieinhalb Metern Höhe über dem Boden, die Rückenlehnen in der Horizontalen, so dass beide nach oben starrten, als würden sie irgendeine medizinische Untersuchung über sich ergehen lassen. Weiter oben, etwa fünfzehn Meter hoch in der Luft, hing eine junge Frau mit langen blonden Haaren mit dem Gesicht nach unten, gehalten nur noch von den Anschnallgurten, die sich unter ihrem Gewicht spannten. Das Paar konnte sich zumindest noch gegenseitig Mut zusprechen, doch die junge Frau schien die aussichtsreiche Kandidatin für eine Tragödie. Die Menge wurde immer dichter, und wenn die übrigen drei- bis vierhundert Leute nur halbwegs so wie ich veranlagt waren, starrten sie auf die junge Frau und überlegten, welche Horrorgeschichte sie später ihren Freunden in der Kneipe oder beim Essen erzählen würden. Wenn in absehbarer Zukunft das Gespräch auf Rummelplätze und Vergnügungsparks käme, würde ich warten, bis die Leute ihre mittelmäßigen Anekdoten beendet hatten, um dann, genau im richtigen Augenblick und wie nebenbei, zu sagen: »Ich hab einmal gesehen, wie ein Mädchen von einem dieser Karussells in den Tod stürzte.«
    Ich stellte mir den Moment absoluter Stille vor, der meinem Eröffnungssatz folgen würde, und spürte, wie meine zukünftigen Zuhörer sich nahezu unmerklich auf ihrem Sitz vorbeugten. Die

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