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Ich ein Tag sprechen huebsch

Ich ein Tag sprechen huebsch

Titel: Ich ein Tag sprechen huebsch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Sedaris
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Verletzungen hatten sich als vergleichsweise harmlos erwiesen, aber ich hatte gleichwohl keinerlei Freude darüber empfunden, Zeuge ihres Missgeschicks zu sein. Ich fragte mich, wie ich wohl reagiert hätte, wenn es einen Toten gegeben hätte, schob den Gedanken aber als übertrieben theatralisch zur Seite. Zuschauer bei einem noch so banalen Sportereignis zu sein ist ganz etwas anderes, als zufällig bei einem Unfall zugegen zu sein und ihn für seine eigenen Zwecke ausschlachten zu wollen. Letzten Endes hatte die blonde Frau die verstörendere Geschichte zu erzählen. Wir hatten sie dabei beobachtet, wie sie, nur noch von Gurten gehalten, soundso viel Meter hoch in der Luft hing, aber was noch viel schlimmer war: Sie hatte uns beobachten müssen. Beim Blick in unsere hässlichen, erwartungsvollen Gesichter hatte sie vermutlich keinen vernünftigen Grund gesehen, zur Erde zurückzukehren und ihr Leben unter diesem Abschaum fortzusetzen. Gut möglich, dass sie immer noch am Himmel über Paris schwebt und sich mit Händen und Füßen gegen jeden wehrt, der ihr zu nahe kommt.
Schlaumeier
    Mit fünfundzwanzig hatte ich einen Job als Laufbursche auf verschiedenen Baustellen am Stadtrand von Raleigh. Die Arbeit war öde und wurde nur noch öder an Tagen, an denen mir ein Typ namens Reggie zugeteilt war, ein vorgebliches Genie, das zutiefst unglücklich war über den Lauf, den sein Leben genommen hatte. Jeden Tag erklärte er mir, wie intelligent er sei, und jedes Mal war es das gleiche Gespräch.
    »Da besitzt man einen IQ von hundertdreißig und darf Späne fegen.« Er starrte auf die Borsten seines Besens, als hätten sie sich verschworen, seinen Aufstieg zu vereiteln. »Kannst du dir das vorstellen? Einhundertdreißig! Im Ernst, Mann. Ich hab einen Test gemacht.« Für mich das Stichwort, beeindruckt zu tun, aber in der Regel ließ ich ihn hängen.
    »Eins-drei-null, sagte er. »Falls du es nicht weißt,
    in dem Bereich redet man von Genie. Mit so viel Grips könnte ich echt was machen, falls du weißt, was ich meine.«
    »Klar doch.«
    »Ich bin wahrhaftig nicht dafür gemacht, Nägel aus Verschalbrettern zu ziehen.«
    »Verstehe.«
    »Das bekäme auch einer mit sechzig noch hin. Das bedeutet, siebzig IQ-Punkte liegen in meinem Kopf brach.«
    »Die müssen sich ganz schön langweilen.«
    »Und wie die sich langweilen«, sagte er. »Leute wie ich brauchen eine Herausforderung.«
    »Du könntest den Ventilator anschmeißen und gegen den Wind fegen«, schlug ich vor. »Das ist ganz schön schwierig.«
    »Las deine blöden Scherze. Ich hab ein bisschen mehr drauf als du.«
    »Woher willst du das wissen?« fragte ich. »Ich könnte einen IQ von dreihundert oder sonst wieviel haben.«
    »Dreihundert, ja? Es gibt keine dreihundert. Bei dir würde ich auf zweiundsiebzig tippen, allerhöchstens.«
    »Was heißt das?« fragte ich.
    »Das heißt, ich hoffe, Besenschwingen gefällt dir.«
    »Und was, bitte schön, soll das heißen?«
    Er schüttelte den Kopf. »Frag in fünfzehn Jahren noch mal nach.« Fünfzehn Jahre später arbeitete ich für eine Gebäudereinigungsfirma. Gewiss, es war ungelernte Arbeit, aber andererseits hatte ich nicht viel mit Fegen zu tun. In der Hauptsache musste ich staubsaugen. Außerdem ist das Jahre her. Zwei Jahre, um genau zu sein.
    Ich weiß nicht, was aus Reggie geworden ist, aber ich musste an ihn denken, als ich mich, mit zweiundvierzig Jahren, endlich einem Intelligenztest unterzog. Als Erwachsener, der sich seit vielen Jahren mehr oder weniger erfolgreich alleine durchschlägt, sagte ich mir, dass ein Test keinen großen Schaden mehr anrichten könne. Zu diesem Zeitpunkt meines Lebens waren die Würfel längst gefallen, und egal, wie dumm ich bin, zumindest ist so viel vorhanden, dass ich damit über die Runden komme. Allerdings war mir nicht bewusst, dass Intelligenztests ebenso in die eigene Vergangenheit wie in die eigene Zukunft hineinpfuschen, indem sie einem für ein Leben voller Fehlentscheidungen die Augen öffnen und einen auf die Unausweichlichkeit zukünftigen Scheiterns vorbereiten. Wenn ich heute an einen Intelligenztest denke, stelle ich mir eine hakennasige Hexe vor, die von ihrem Zauberkessel aufblickt und fragt: »Sind Sie sicher, dass Sie die Antwort auf diese Frage hören wollen?«
    Ich bejahte, mit dem Ergebnis, dass mir noch immer das hämische Gelächter der Hexe in den Ohren gellt, sobald ich meine Hand nach einem Besen ausstrecke. Als Kind nährte ich stets den

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