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Ich ein Tag sprechen huebsch

Ich ein Tag sprechen huebsch

Titel: Ich ein Tag sprechen huebsch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Sedaris
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Tatsache, dass ich die verunglückte Frau nicht persönlich kannte, würde mein Publikum davon entbinden, sich betreten oder peinlich berührt zu fühlen, das Thema überhaupt angeschnitten zu haben. Sie würden Fragen stellen, um bei meinen ausführlichen Antworten gleichzeitig einen eisigen Schauer wie ein eigentümliches Gefühl der Zufriedenheit zu verspüren. Als ich Hugh meine Gedanken mitteilte, verurteilte er mich und ebenso die Menge und bezeichnete die Atmosphäre, ohne eine Spur von Ironie, als »karnevalesk«. Er drehte sich um und ging, während ich mich näher an das Karussell heran schob und mich zwischen Leute drängte, die wie ich mit einem Ausdruck in den Abendhimmel starrten, den sie normalerweise für das nächtliche Feuerwerk reserviert hatten. Der Schuh der blonden Frau löste sich und fiel unter den Augen der Zuschauer zu Boden. »Und dann stürzte einer ihrer Schuhe zu Boden«, hörte ich mich sagen. Ich glaube, ich habe zu keiner Zeit je so gemein gedacht, aber ich rechtfertigte mich damit, dass die Person nicht durch mein Verschulden in eine so missliche Lage geraten war. Ich hatte sie nicht dazu angestiftet, dieses Fahrgerät zu besteigen. Die Betreiber hatten offensichtlich keinen Plan, wie sie herunterzubekommen war, aber auch dafür konnte ich nichts. Ich sagte mir, mein Beweggrund sei Mitleid und meine Anwesenheit ein Zeichen moralischer Unterstützung. Ich wusste nicht, wie es bei den anderen aussah, aber ich wurde gebraucht.
    Ich ärgerte mich, als die Polizei anrückte und rief, dies sei keine Show. Schon recht, dachte ich. Aber darf man so mein Engagement runtermachen? Schließlich war ich viel länger da als sie. Ich hatte geduldig gewartet, was passieren würde, so dass es einfach ungerecht von ihnen war, mich zur Seite zu schieben, um den Weg für ein angebliches Feuerwehrfahrzeug oder einen Krankenwagen frei zu machen. Die Menge hielt die Stellung, bis noch mehr Polizisten eintrafen, die uns zurück auf den Hauptgang drängelten und schubsten, wo uns der Blick kurz darauf durch Einsatzfahrzeuge versperrt wurde. Ich war den Tränen nahe, während alle anderen problemlos mit ihrer Enttäuschung fertig zu werden schienen. In Windeseile löste sich die Versammlung auf und die Leute zogen weiter zu anderen, nicht weniger gefährlichen Karussells, wo sie angeschnallt in den Himmel katapultiert wurden, um ihren eigenen zu frühen Tod herauszufordern. Auf der Fahrt nach Hause sagte ich im Kopf immer wieder den Satz: »Ich war dabei, als dieses Mädchen beinahe tödlich verunglückte.« Ich versuchte es auf Englisch und auf Französisch, aber die Begeisterung erlosch jedes Mal nach dem Wörtchen beinahe. Wen interessierte schon, dass jemand beinahe tödlich verunglückt war? Ich gab der Polizei die Schuld für den verpatzten Abend und versuchte mir vorzustellen, was ich gefühlt hätte, wäre die Frau tatsächlich aus ihrer Gondel gestürzt.
    Moralisch betrachtet, kam mir die Vachette-Arena weit weniger morastig vor als der Hauptgang auf dem Jahrmarkt in Paris. Ich hockte nicht auf der Tribüne, weil sich irgendwer verletzt hatte. Ich sah einfach nur zusammen mit der übrigen Dorfgemeinschaft einer geplanten Veranstaltung zu. Sollte jemand zu Tode kommen, wäre ich kein eiligst hinzugelaufener Gaffer, sondern ein ganz normaler Zuschauer.
    Der tiefere Sinn des Fußballspiels blieb mir die ganze Zeit verschlossen. Die Freiwilligen spielten nicht gegen die Kuh, sondern versuchten lediglich, in ihrem Beisein zu kicken. Es schoss auch niemand Tore, so dass ich einigermaßen erstaunt war, als plötzlich abgepfiffen wurde und ein anderes, nicht weniger seltsames Spiel begann. In Runde zwei bekamen die Mitstreiter Dutzende Autoreifenschläuche, die sie zu hohen, wulstigen Türmen aufstapelten, damit die zweite Vachette des Nachmittags sie umgehend wieder einreißen konnte. Irgendetwas an den Schläuchen schien ihr Blut so in Wallung zu bringen, dass sie mit furchterregender Wildheit über sie herfiel. Die jungen Männer flitzten über das Feld und begannen gleich an mehreren Stellen ihre Türme zu errichten. Doch trotz all ihrer Mühen hatten sie nichts vorzuweisen, als das Spiel schließlich abgepfiffen wurde. In der anschließenden Pause wurde mir mein Nachbar auf der Tribüne vorgestellt, ein pensionierter Dachdecker, der mir erklärte, die Vachettes kämen alle aus einer kleinen Stadt in Südfrankreich, unweit der spanischen Grenze. Sie würden wegen ihrer Angriffslust gezüchtet und reisten

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