Ich ein Tag sprechen huebsch
Nachbarort, nicht weit von unserem Haus in der Normandie entfernt. Hier handelte es sich um eine Veranstaltung, die die Frage nach dem »Warum?« mit einem kraftvollen »Warum nicht?« parierte.
»Warum nicht mal eine Heißklebepistole zur Hand nehmen und Blumentöpfe mit Muscheln bekleben?« hatten sich offenbar die fleißigen Großmütterchen am Stand für Selbstgebasteltes gefragt. »Warum nicht mal lange Wollwürste häkeln und sie als Schutz gegen Durchzug vor die Tür legen?«
Es gab ein paar wenig spektakuläre Karussells und ein Spiel, bei dem man mit Tennisbällen nach Pappmache-Figuren von Idi Amin und Richard Nixon werfen durfte. Und dann war da noch die Hauptattraktion, bei der die Frage lautete: »Warum nicht mal eine Arena bauen und sich die Zeit mit ein paar wildgewordenen Kühen vertreiben?«
Die dazu vorgesehenen Kühe waren schlanke, langhörnige Teenager, die als Vachettes bezeichnet werden. Dickschädelig in Erscheinung und Temperament, gelten sie als die rebellischen Jugendlichen innerhalb der Kuhfamilie, die beinharten Cousinen, die in Anhängern schlafen und wie Männer kämpfen. Hält man einer Vachette einen Schnaps hin, sagt sie vermutlich nicht nein. Erwähnt man den Namen Vachette gegenüber einer der typischen Milchkühe der Normandie, rollt sie unter ihren langen Wimpern mit den Augen und sagt: »Ach Gott, die!«
Die Frau am Eingang zur Arena erklärte, als Freiwillige kämen Hugh und ich umsonst rein, das heißt, wenn wir bereit wären, uns eine Zeitlang mit einer dieser zornigen jungen Kühe herumzuschlagen, bliebe uns das Eintrittsgeld erlassen. Wir müssten dann nur ein paar Dokumente unterzeichnen, durch die sich die Festival-Organisation von jeglicher Verantwortung freisprach. Als Freiwilliger mitzumachen hieß, mit dem Risiko einer möglichen Wirbelsäulenfraktur vier amerikanische Dollar pro Nase einzusparen. »Na los doch«, sagte die Frau, »das ist ein Riesenspaß.«
Ich stellte mir einen gutaussehenden französischen Arzt vor, der mir das übliche Verfahren einer Kolostomie erklärte, bevor ich zur Enttäuschung der Frau an der Kasse mein Portemonnaie zückte. Nachdem wir bezahlt hatten, nahmen wir unter den etwa einhundert Besuchern auf der zerlegbaren Tribüne Platz. Hier saßen alle unsere Nachbarn, die wir morgens beim Bäcker oder im Eisenwarenladen trafen. Der Bürgermeister rauschte vorbei, gefolgt vom Briefträger und dem Zugschaffner, die alle kurz stehenblieben und grüßten. Andere mögen es als beengend empfinden, aber mir gefällt die Bilderbuchatmosphäre des Dorflebens. Der Metzger, der Steinmetz, der Schafzüchter und die Dorfschullehrerin: Es ist beinahe so, als entstammten alle diese Figuren einer Kiste, zusammen mit buchhohen Geschäftsfronten und einer Handvoll kleiner Steinhäuschen. In einer Welt, in der man die Leute anhand ihres Berufs kennt, werden Hugh und ich nur als die Amerikaner geführt, als sei der Besitz eines blauen Passes bereits mit so viel Arbeit verbunden, dass für andere Dinge keine Zeit bleibt. Zusammen mit den Engländern und Parisern sind wir die Figürchen, die in die kleinen Steinhäuser einziehen, wenn der Schneider durch die Windschutzscheibe fliegt oder dem Tischler von seinem zahnenden Hund der Kopf abgebissen wird. In dieser Art Ergänzungs-Set betrachtet man uns mit einer gleichmäßigen Mischung aus Neugierde, Höflichkeit und Resignation.
Die Tribüne war auf einer Weide errichtet worden und umschloss eine geräumige Sperrholzmanege, in der ein Dutzend junger Männer Fußball spielte. Zuerst dachte ich, wir wären zu spät dran und hätten die Hauptattraktion verpasst, aber dann öffnete jemand die Tür des Viehanhängers, woraufhin eine Vachette die Rampe heruntergeschossen kam und polternd in die Arena stürmte. Nach kurzer Orientierung ging sie sogleich zum Angriff über, während das Publikum über ihre Schnelligkeit und blinde Kampfeslust nur staunen konnte. Ohne die Furchtsamkeit einer Milchkuh und deren hinderliches Fett ging sie auf die Fußballspieler los, als wolle sie im Namen des unterdrückten Viehs dieser Welt Rache nehmen. Die jungen Männer stoben in alle Richtungen auseinander und brachten sich in Sicherheit, um anschließend nur noch sporadisch hinter ihren schützenden Barrikaden hervorzuhuschen und dem Ball einen flinken Tritt zu verpassen. So ging es dann mehr oder weniger den ganzen Nachmittag über weiter. Die Vachettes preschten vor, die Freiwilligen rannten um ihr Leben, und das Publikum
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