Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Ich & Emma

Ich & Emma

Titel: Ich & Emma Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elizabeth Flock
Vom Netzwerk:
bin.
    Als wir vom Parkplatz fahren, beginnt Mr. White zu sprechen. “Deine Mama war damals, als sie ein kleines bisschen älter war als du, die Dorfschönheit. Ich meine, du weißt doch, dass wir zusammen zur Schule gegangen sind, oder?”
    “Ja, Sir”, sage ich. Ich probiere den Sitz noch mal aus, aber der ist noch immer heißer als ein Fleischermesser. Als ich noch klein war, habe ich mir immer gerne Mamas Jahrbuch der Highschool angesehen – sie sah darin aus wie ein Filmstar, und Mr. White hatte damals noch alle Haare, ganz in Schwarz gekleidet, und der böse Blick, mit dem er in die Kamera schauen wollte, wirkte eher lustig. Um Mamas Kopf war ein Schimmer, der aussah wie ein Heiligenschein. Ihr Haar glänzte, es war nicht richtig braun, nicht richtig blond und so elegant frisiert, dass sie älter aussah, als sie war. Ihr Lächeln war einfach perfekt, und nur von diesem Foto weiß ich, dass sie Grübchen hat. Jetzt würde man das nie vermuten. Ihre Augen waren groß und glitzerten, nichts zu sehen von den Falten, die sich in ihr Gesicht eingegraben haben. Sie trug Perlen, die sie sich, wie ich genau weiß, von ihrer Großmutter nur für dieses Foto ausgeliehen hatte. Die berühmte Perlenkette. Ich habe so viel über diese Perlenkette gehört, dass ich das Gefühl habe, tatsächlich dabei gewesen zu sein, später am selben Tag, als Mama und mein Daddy sich hinter der Schule küssten. Daddy hatte ihren Kopf in seine Hände genommen, da erwischte sie der Schuldirektor und erschreckte Daddy so sehr, dass er seine Hände wegriss. Dabei verfing er sich in der Kette, die Perlen knallten auf den Asphalt und fanden ihre letzte Ruhe im Kanal. Mama wurde beinahe tot geprügelt, als sie nach Hause kam.
    “Hat sie je erwähnt, dass wir zusammen zur Schule gegangen sind?” Mr. White schaut zu mir herüber, und in diesem Moment kann ich für eine Sekunde lang wieder erkennen, wie er damals ausgesehen hat.
    “Kann mich nicht erinnern. Ich glaube, ich weiß es einfach, das ist alles.” Es gibt keinen Grund, ihm von dem Jahrbuch zu erzählen. Ich wette, ihm wäre dieses Foto peinlich.
    “Oh.” Er seufzt. “Jedenfalls waren alle Jungs in sie verliebt. Ich auch, vermutlich. Aber damals hatte ich nicht genügend Mumm, deswegen habe ich deine Mama natürlich nie um eine Verabredung gebeten. Nee, nee. “ Er pfeift durch die Zähne. “Dein Daddy aber schon. Ich weiß nicht, ob ich ihm jemals verziehen habe, dass er mir Libby weggenommen hat.” Er zwinkert mir zu, zum Glück, denn ich könnte es nicht ertragen, wenn Mr. White irgendwas Schlechtes über meinen Daddy sagen würde.
    “Wir alle haben deinen Daddy mächtig beneidet”, sagt er und nickt. “Ich dachte, die beiden würden sofort dieses Kaff verlassen, wenn sie erst einmal verheiratet waren, aber das wollte deine Mama nicht. Nee, nee.”
    Während er spricht, lasse ich mich ganz langsam auf den Sitz hinunter. Puh – fühlt sich gut an, wieder richtig zu sitzen.
    “ … sie wollte keinesfalls dieses Kaff verlassen, also haben die beiden hier Wurzeln geschlagen und sind geblieben.”
    Ich weiß nicht wieso, aber als er das sagt, verdüstert sich sein Gesicht. Also halte ich den Mund. Was ich natürlich schon die ganze Zeit tue.
    “Wie läuft’s in der Schule?” fragt Mr. White, nachdem wir auf die Route 5 eingebogen sind. Nur noch zwei Minuten bis nach Hause, insofern wird dieser Teil des Gesprächs mit etwas Glück nicht zu lange dauern.
    “Gut, danke.”
    “Ja? Nun, das ist gut. Das ist wirklich gut”, sagt er und lenkt sein Schiff von einem Auto auf unseren schmutzigen Weg. Sein Auto wirkt irgendwie fehl am Platz, hier, wo sonst Richards Pick-up fährt.
    “Da sind wir”, sagt er und versucht heiter zu klingen, doch sein Gesichtsausdruck passt nicht zu seiner Stimme. Ich hüpfe schnell aus dem Auto.
    “Noch mal vielen Dank, Mr. White”, rufe ich ihm zu.
    “Kein Thema”, ruft er zurück. “Also, sprich mit deiner Mama und bitte sie, mich anzurufen, um mir zu sagen, wann du wieder zu mir kommst. Wann immer du willst, Caroline. Wann immer du willst.” Er blinzelt mir wieder zu, und ich werfe die Tür zu und renne die Verandatreppen hinauf, um Mama und Emma von meinen Erlebnissen bei White’s zu erzählen.
    Mr. White ist genauso wie alle anderen hier in Toast, North Carolina – ihm kam nie in den Sinn, wegzugehen. Ich finde das unvorstellbar. Ich meine, ich kann das ja verstehen, wenn man so alt ist wie ich, aber wenn man alt genug ist, diesen Ort

Weitere Kostenlose Bücher