Ich & Emma
vom Schuss wohnen?
Doch dann schlafen wir einfach wieder ein. Es ist ein fiebriger Schlaf, in dem man sich immer hin und herwälzt und sich eine Sekunde lang besser fühlt, bis man merkt, dass man jetzt eben auf der anderen Seite schwitzt. Keine Position ist für längere Zeit irgendwie angenehm. So zu schlafen füllt einfach die Zeit aus, bis der Tag vorbei ist.
“He du”, ruft die Frau. Sie hat etwas Quadratisches in der Hand, über das ein Handtuch gelegt ist. “Orla Mae, hör auf zu schlurfen. Die ganzen Steine, die du aufwirbelst, hauen mir Löcher in die Beine, ich schwör’s.” Und dann an mich gerichtet: “Is’ deine Mama da?”
“Ja, Ma’am”, antworten wir gleichzeitig, und natürlich drückt sich Emma an mir vorbei, um Mama zu holen, und ruft mir dabei “Pech gehabt!” zu. Ich renne ihr hinterher. Ich will selbst sehen, wie Mama diese nette Lady und deren Tochter findet.
“Gleich zurück”, sage ich noch zu den beiden, die vor der Eingangstreppe stehen und versuchen, nicht zu neugierig auszusehen.
“Mama!” schreit Emma. “Wir haben Besuch!”
Mama kommt aus einer Tür, die mir gestern gar nicht aufgefallen ist. Sie wischt sich die Hände an der Schürze ab und schiebt sich eine Haarsträhne hinter die Ohren. “Schon gut, schon gut. Komme ja. Rauf ins Zimmer und umziehen!”
Richard hat Bretter für die Stufen zugeschnitten und festgenagelt, daher ist es jetzt ganz leicht, nach oben zu kommen.
“Beeilung.” Emma schlüpft aus einem Bein der Hose, die sie noch von gestern trägt und durchwühlt den Haufen Klamotten am Fußende unseres Bettes. “Mach schon, schneller.”
“Nicht! Das ist meins.” Ich schnappe mir ihre Hand gerade noch rechtzeitig – sie wollte mir die gelbe Bluse wegnehmen. “Die trage ich.”
“Mann. Ist ja gut.”
Wir rasen wieder die Stufen hinunter, um einen ausführlichen Blick auf diese Orla Mae zu werfen, die beim Gehen Steine in die Luft kickt. Die beiden sind mit Mama draußen auf der Veranda.
“Das ist die Straße runter, nicht weiter als ’ne Meile …”, sagt die Lady gerade. Mama hält jetzt die viereckige, mit dem Handtuch bedeckte Pfanne. “Da braucht er vielleicht zehn Minuten zu Fuß jeden Tag.”
“Kommen Sie doch rein”, sagt Mama, als wir die Fliegengittertür öffnen. An ihrem Tonfall kann ich erkennen, dass sie lieber nicht beim Wort genommen werden möchte.
“Ach nein”, sagt die Lady. “Wir kamen nur zufällig vorbei. Orla Mae wollte unbedingt wissen, wer hier eingezogen ist. Wir haben gestern gesehen, wie Sie durch den Ort gefahren sind, und jetzt will jeder wissen, wer Sie sind.” Sie schaut uns an und schiebt ihre Tochter in unsere Richtung. “Das ist Orla Mae.”
“Hi”, sage ich. Emma hebt ihre Hand zu einer Art Winken. Manchmal ist sie Fremden gegenüber ziemlich schüchtern.
So wie Orla Mae uns von oben bis unten betrachtet, wird mir auf einmal deutlich, dass nicht jeder seine Hosen trägt, bis der Stoff ganz dünn und die Hosenbeine viel zu kurz sind. Und ihretwegen finde ich es auch unangenehm, dass meine großen Zehen aus den Schuhen hervorlugen.
“Willst du unseren Fluss sehen?” frage ich Orla Mae. Sie nickt und folgt uns die Stufen hinunter zu dem Trampelpfad neben dem Haus.
“Nun, dann kommen Sie wohl doch besser mal rein, die beiden scheinen sich ja schon blendend zu verstehen”, sagt Mama zu Orla Maes Mama.
“Wie alt bist du?” fragt Emma, als wir über den weichen Boden zum Diamantenfluss hüpfen.
“Sieben.”
“Und wie ist dein Nachname?” frage ich.
“Bickett.”
“Gehst du zur Schule?”
“Natürlich gehe ich zur Schule. In Donford. Da gehen alle von hier hin. Wie alt bist du?”
“Ich bin acht, meine Schwester Emma ist sechs”, erkläre ich.
“Ich habe auch eine kleine Schwester. Und vier ältere Brüder. Die arbeiten in dem Holzlager, wo auch dein Daddy arbeiten wird. Ich seh’ sie aber nie. Die sind viel älter. Meine Schwester ist zwei Jahre alt. Ist nicht lustig mir ihr, die heult die ganze Zeit. Ich hab’ bei der Geburt geholfen.”
“Erstens ist das nicht unser Daddy, er ist unser
Stief
vater, unser Daddy ist tot, und zweitens, was heißt das, du hast bei der Geburt geholfen?” fragt Emma ohne einmal Luft zu holen.
“Na, ich stand unten am Bett mit der Frau, die Mama geholfen hat. Ich hab’ sie rausgezogen.”
“Hast du nicht”, sage ich.
“Hab ich doch.” So, wie sie es sagt, glaube ich ihr fast.
“Hier ist unser Fluss”, ruft Emma und breitet
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