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Ich & Emma

Ich & Emma

Titel: Ich & Emma Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elizabeth Flock
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die Arme aus.
    “Was soll denn das heißen,
euer
Fluss?” Beim Sprechen kräuselt sie ihre Oberlippe wie ein schnüffelnder Hund.
    “Das ist der Diamantenfluss”, antwortet Emma sofort, offenbar ohne zu bemerken, dass Orla Mae die Arme vor der Brust verschränkt hat, als wollte sie uns das Gegenteil beweisen. “Der befindet sich auf unserem Grundstück, also gehört er uns, und dagegen kann niemand was sagen.”
    “Mein Daddy sagt, euer Daddy wird in der Qualm-Schicht arbeiten”, sagt Orla Mae.
    “
Stief
vater”, korrigiert Emma erneut.
    “Was ist die Qualm-Schicht?”
    “Das ist die schlimmste. Die müssen aufpassen, dass die Sägespäne über Nacht nicht Feuer fangen. Euer Stiefvater muss ständig in dem Haufen rühren und rühren, damit es nicht brennt.”
    “In den Sägespänen rühren?” Das klingt irgendwie komisch.
    “Ja. Wirst du mit den Kanistern arbeiten?”
    “Wie?”
    “Die mit dem Terpentin”, sagt sie mit einer Stimme, als ob ich doof wäre. “Du arbeitest mit den Kanistern, könnt’ ich wetten. Ich jedenfalls mach das. Im Sommer, wenn am meisten los ist, es aber auch am schlimmsten stinkt. Ich habe da so ein Stück Stoff aus einem alten Hemd von Daddy. Das binde ich mir um den Mund, damit ich nicht zu viel husten muss.”
    “Orla Mae Bickett! Orla Mae!” hören wir ihre Mutter durch die Bäume. “Wir müssen los, Mädchen. Jetzt komm schon.”
    “Tschüss.” Sie fliegt davon wie eine Biene, die Honig riecht.
    “Terpentin”, sage ich zu Emma.
    Emma zieht die Schultern hoch und springt von dem Felsen, auf dem sie gesessen hat.
    “Woher sollen wir wissen, was wir tun müssen?” Ich erwarte natürlich keine Antwort, weil mir klar ist, dass sie keine hat.
    Wir lassen uns Zeit, und als wir wieder beim Haus ankommen, sind die Bicketts bereits weg, und Mama ist nirgends zu sehen.
    “Lass uns hinters Haus gehen”, schlägt Emma vor.
    Wir sind wohl schon eine ganze Weile weg, mein Magen knurrt nämlich laut.
    “Lass uns lieber reingehen. Ich habe Hunger.”
    “Na gut.”
    “Mama?” rufe ich, als wir die Küche betreten.
    “Was?” brüllt sie zurück.
    “Wir haben Hunger”, sagt Emma.
    Die Küche ist viel kleiner als unsere alte und nicht halb so hell wegen der Bäume vor dem Fenster. In einem Karton auf dem Boden entdecke ich Brot und ein Glas Honig, damit könnten wir anfangen und dann weitersehen. Das Problem ist nur, dass ich kein Messer finden kann, um den Honig aufs Brot zu streichen. Ich hoffe, Mama kommt jetzt nicht rein – sie nennt uns immer “Wilde”, sogar wenn wir Messer und Gabel benutzen, wer weiß, was sie sagen würde, wenn sie sieht, wie wir das Brot auseinander reißen, zwischen den Händen zu Kugeln formen und direkt in das Glas tunken. Ein langer goldener Honigfaden zieht sich vom Glas bis zu meinem Mund, Honig tropft auf mein Kinn und auf die schmutzige Küchentheke. Emma macht es mir lachend nach, wir erfinden ein Spiel – welcher Honigfaden ist der längste, ohne zu reißen. Ich mache einen Schritt zurück, der Faden hält. Einen … weiteren … Schritt …
    “Was zum Teufel tust du da?” Bei Mamas Stimme erschrecke ich mich fast zu Tode, der Faden reißt ab, fällt sanft auf die Theke in die sich bereits gebildete Honigpfütze.
    “Hm?” frage ich mit vollem Mund. Ich drehe mich um, Emma hat sich bereits in Sicherheit gebracht. Keine Ahnung wohin.
    “Sag nicht ‘hm’.” Mama haut mir zur Bekräftigung auf den Hintern. Darauf war ich leider nicht vorbereitet, deswegen stolpere ich gegen die Küchentheke, das Honigglas knallt auf den Boden, rollt ein paar Zentimeter, und der goldene Honig läuft über, bevor ich mich wieder aufrichten und es verhindern kann.
    “Nachdem ich den ganzen Tag geputzt habe, soll ich jetzt auch noch wie eine verdammte Haushälterin hinter dir herwischen?” So laut habe ich Mamas Stimme schon eine Weile lang nicht mehr gehört.
    “Tut mir Leid, Mama.” Ich schlucke den Rest der Honigkugel hinunter, die mir im Hals stecken geblieben war. “Ich …”
    “Tut mir Leid, Mama.” Sie äfft mich schrill nach. “Tut mir Leid, Mama.” Und dann haut sie mir noch eine runter, für den Fall, dass ich es beim ersten Mal nicht kapiert habe. Nur dieses Mal war ich
noch weniger
darauf vorbereitet, und deswegen knallt mein Kopf gegen die Theke, und diesmal fällt es mir noch schwerer, nicht zu weinen. Tue ich aber nicht. Weinen. Das würde bei Mama das Fass zum Überlaufen bringen.
    “Steh auf”, kreischt sie mich an.

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