Ich finde dich
nicht. Diesen Zeitpunkt hatten wir jetzt erreicht, und die Antwort lautete eindeutig ja.
Die Ladys gingen sich die Nase pudern. Ich war etwas zu angeheitert von den vielen Drinks. Zwischendurch fragte ich mich, ob mein Bibliotheksausweis für diesen Abend nicht schon abgelaufen war. Eigentlich kümmerte es mich aber auch nicht besonders.
»Weißt du, was mir an den beiden gefällt?« Benedict deutete auf ein Regal. »Sie sind ziemlich üppig ausgestattet. Verstehst du? Die Regale stehen voller Bücher, die beiden …«
Ich stöhnte laut. »Ich glaube, mir wird schlecht.«
»Das könnte auch ganz unterhaltsam werden«, sagte Benedict. »Übrigens, wo warst du eigentlich gestern Abend?«
»Hab ich dir das nicht erzählt?«
»Nein.«
»Ich war in Vermont«, sagte ich. »In Natalies Refugium.«
Er sah mich an. »Was wolltest du denn da?«
Es war seltsam, aber wenn Benedict zu viel getrunken hatte, kam der Hauch eines englischen Akzents durch. Ich nahm an, dass er sich den in seiner Zeit auf der Privatschule angeeignet hatte. Je mehr er trank, desto stärker wurde der Akzent.
»Um Antworten zu bekommen«, sagte ich.
»Und? Hast du welche bekommen?«
»Ja.«
»Erzähl.«
»Erstens …«, ich streckte einen Finger in die Luft, »… erinnert sich dort niemand an Natalie. Zweitens …«, noch ein Finger, »… erinnert sich dort niemand an mich. Drittens …«, die Sache mit den Fingern haben Sie jetzt wahrscheinlich verstanden, »… gibt es in der Kapelle dort keine Unterlagen über Natalies Hochzeit. Viertens schwört der Geistliche, den ich damals bei der Zeremonie gesehen habe, dass diese Hochzeit nie stattgefunden hat. Fünftens hatte die Besitzerin des Coffee-Shops, in dem wir immer waren und die mich auf Natalie aufmerksam gemacht hat, keine Ahnung, wer ich bin, und erinnerte sich weder an Natalie noch an mich.«
Ich nahm die Hand herunter.
»Ach ja, und Natalies Künstler-Refugium?«, sagte ich, »das Creative Recharge? Das gibt es nicht mehr, und alle Leute behaupten, dass es auch nie existiert hätte, sondern auf dem Land immer eine private, von der Familie bewirtschaftete Farm gewesen sei. Zusammenfassung: Ich glaube, ich dreh langsam durch.«
Benedict wandte sich ab und trank einen Schluck Bier.
»Was ist?«, fragte ich.
»Nichts.«
Ich stieß ihn leicht an. »Jetzt erzähl schon. Was ist los?«
Benedict blieb weiter mit gesenktem Kopf sitzen. »Als du vor sechs Jahren zu dem Refugium gefahren bist, warst du ziemlich fertig.«
»Ein bisschen vielleicht. Na und?«
»Kurz vorher war dein Vater gestorben. Du hast dich einsam gefühlt. Deine Dissertation lief nicht richtig. Du warst traurig und erschöpft. Außerdem hast du dich darüber geärgert, dass Trainor mit einem blauen Auge davongekommen ist.«
»Worauf willst du hinaus?«
»Auf nichts«, sagte er. »Vergiss es.«
»Lass den Quatsch. Erzähl schon.«
Mir war jetzt wirklich schwindelig. Ich hätte längst mit dem Trinken aufhören müssen. Ich weiß noch, wie ich im ersten Studienjahr einmal zu viel getrunken hatte und mich dann auf den Rückweg zum Wohnheim machte. Ich hatte es nur mit vielen Pausen geschafft. Als ich aufwachte, lag ich auf einem Busch. Ich weiß noch, dass ich zum Sternenhimmel hinaufstarrte und mich fragte, warum der Boden so piekste. Jetzt schwankte auch alles, genau wie damals, wie in einem kleinen Boot auf rauer See.
»Natalie«, sagte Benedict.
»Was ist mit ihr?«
Er sah mich aus seinen brillenvergrößerten Augen an. »Wieso habe ich sie nie kennengelernt?«
Das Bild vor meinen Augen verschwamm. »Was?«
»Natalie. Wie kommt es, dass ich sie nie kennengelernt habe?«
»Weil wir die ganze Zeit in Vermont waren.«
»Ihr seid nie auf dem Campus gewesen?«
»Nur ein Mal, ganz kurz. Dann sind wir ins Judie’s gegangen.«
»Wie kommt es dann, dass du sie mir nicht vorgestellt hast?«
Ich zuckte etwas übereifrig die Achseln. »Ich weiß es nicht. Vielleicht warst du nicht da?«
»Ich habe den ganzen Sommer hier verbracht.«
Schweigen. Ich versuchte, mich zu erinnern. Hatte ich versucht, sie Benedict vorzustellen?
»Ich bin dein bester Freund, stimmt’s?«, sagte er.
»Stimmt.«
»Und wenn du sie geheiratet hättest, wäre ich dein Trauzeuge gewesen.«
»Das weißt du ganz genau.«
»Und dann findest du es nicht ungewöhnlich, dass ich sie nie kennengelernt habe?«, fragte er.
»Wenn du es so sagst …« Ich runzelte die Stirn. »Moment, worauf willst du hinaus?«
»Schon okay«, sagte er
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