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Ich finde dich

Ich finde dich

Titel: Ich finde dich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Harlan Coben
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Enttäuschung größer, als ich erwartet hatte.
    »Kann ich Ihnen helfen?«
    Die Frau hinter dem Tresen konnte höchstens zwanzig Jahre alt sein. Sie war blond mit rosa Strähnchen. Richtig, rosa.
    »Hübsche Frisur«, sagte ich charmant wie immer.
    »Das Rosa?« Sie deutete auf die Strähnen. »Das zeigt die Solidarität mit an Brustkrebs erkrankten Frauen. Sagen Sie, ist alles in Ordnung?«
    »Natürlich, warum?«
    »Sie haben eine dicke Beule am Kopf. Die blutet auch ein bisschen.«
    »Oh, das. Kein Problem, mir geht’s gut.«
    »Wir haben hier auch Erste-Hilfe-Sets. Wäre vielleicht nützlich.«
    »Ja, vielleicht.« Ich drehte mich wieder zu den Stiften um. »Ich brauche einen roten Filzstift, sehe hier aber keinen.«
    »Rote haben wir nicht. Nur schwarze.«
    »Oh.«
    Sie musterte mein Gesicht. »Aber ich hab hier einen.« Sie griff in eine Schublade und zog einen roten Filzstift heraus. »Wir benutzen ihn für die Inventur, um Sachen durchzustreichen.«
    Ich versuchte, mir nicht anmerken zu lassen, wie scharf ich auf den Stift war. »Kann ich Ihnen den abkaufen?«
    »Ich glaube nicht, dass ich den verkaufen darf.«
    »Bitte«, sagte ich. »Es wäre wirklich wichtig.«
    Sie überlegte kurz. »Ich mach Ihnen einen Vorschlag. Sie kaufen das Erste-Hilfe-Set und versprechen mir, dass Sie Ihre Beule verarzten, dann lege ich den Marker dazu.«
    Ich ging darauf ein und eilte in die Toilette. Wahrscheinlich tickte die Uhr schon. Irgendwann würden ein paar Streifenwagen die größeren Raststätten abklappern und die Autokennzeichen überprüfen. So war es doch, oder?
    Ich versuchte, ruhig zu atmen. Ich sah mir mein Gesicht im Spiegel an. Autsch. Beulen auf der Stirn und eine aufgeplatzte rechte Augenbraue. Ich reinigte die Wunde, so gut es ging, verband sie aber nicht, da ich mit einem Verband auffallen würde wie ein bunter Hund.
    Der Geldautomat stand direkt neben den Verkaufsautomaten, aber der musste noch ein paar Minuten warten.
    Ich ging raus zum Wagen. Mein Kennzeichen lautete »704 LI6«. In Massachusetts sind Zahlen und Buchstaben rot. Mit dem Filzstift verwandelte ich die 0 in eine 8, das L in ein E, das I in ein T und die 6 in eine 8. Ich trat einen Schritt zurück. Einer eingehenden Untersuchung hielt es nicht stand, aber schon aus ein paar Schritten Entfernung las man jetzt »784 ET8«.
    Gern hätte ich mich mit einem zufriedenen Lächeln für meinen Einfallsreichtum belohnt, doch dafür war keine Zeit. Ich ging zurück zum Geldautomaten und überlegte, wie ich mich ihm am besten näherte. Ich wusste, dass alle Geldautomaten mit Kameras ausgerüstet waren – wer wusste das nicht? –, aber selbst wenn es mir gelang, nicht gesehen zu werden, würde die Polizei erkennen, dass es meine Kreditkarte war.
    Geschwindigkeit schien mir daher wichtiger zu sein. Wenn die Polizei hinterher ein Foto von mir hatte, musste ich das halt akzeptieren.
    Ich besitze zwei Kreditkarten. Ich hob von beiden den Höchstbetrag ab und eilte zurück zum Wagen. An der nächsten Ausfahrt bog ich vom Highway ab und fuhr auf Nebenstraßen weiter. Als ich in Greenfield ankam, parkte ich den Wagen an einer Nebenstraße im Ortszentrum. Ich überlegte, ob ich den nächsten Bus nehmen sollte, das erschien mir aber zu naheliegend. Also winkte ich ein Taxi heran und fuhr damit nach Springfield. Natürlich zahlte ich bar. Von dort fuhr ich mit dem Peter-Pan-Bus nach Manhattan. Während der ganzen Fahrt beobachtete ich meine Umgebung, schließlich konnte jederzeit – was weiß ich – ein Polizist oder ein Gangster auftauchen und mich schnappen.
    Leicht paranoid?
    In Manhattan nahm ich ein Taxi raus nach Ramsey, New Jersey, wo, wie ich wusste, Natalies Schwester Julie Pottham wohnte.
    Als wir Ramsey erreichten, sagte der Fahrer: »Okay, Kumpel, wohin jetzt?«
    Es war vier Uhr morgens – eindeutig zu spät (oder, je nach Standpunkt, zu früh), um Natalies Schwester zu besuchen. Außerdem brauchte ich eine Pause. Ich hatte Kopfschmerzen. Ich war mit den Nerven am Ende. Mein Körper zitterte vor Anstrengung.
    »Zu einem Motel.«
    »Ein Stück geradeaus ist ein Sheraton.«
    Die würden einen Ausweis und vermutlich eine Kreditkarte sehen wollen. »Nein. Etwas … Billigeres.«
    Wir fanden eine dieser Absteigen für Trucker, Fremdgänger und Flüchtlinge. Passenderweise hieß es Fair Motel. Mir gefiel die Ehrlichkeit: Wir sind nicht großartig, wir sind nicht einmal gut, wir sind fair, also anständig. Ein Schild über der Markise verkündete, dass

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