Ich finde dich
auf der Couch Platz. Julie setzte sich mir gegenüber. Sie wirkte bestürzt. Ihre Augen sahen aus wie gesprungene Murmeln.
»Das versteh ich nicht«, sagte sie. »Da steht, er ist verheiratet und hat Kinder. Ich dachte …«
»Was dachten Sie?«
Sie schüttelte heftig den Kopf. »Warum interessieren Sie sich so sehr dafür? Natalie hat Sie verlassen. Ich bin auf ihrer Hochzeit gewesen. Ich habe damals gedacht, Sie lassen sich sowieso nicht blicken, aber Natalie war sicher, dass Sie kommen. Warum? Sind Sie so eine Art Masochist?«
»Natalie war sicher, dass ich komme?«
»Ja.«
Ich nickte.
»Was ist?«, fragte sie.
»Sie wusste, dass ich es mit eigenen Augen sehen muss.«
»Wieso?«
»Weil ich es nicht geglaubt habe.«
»Dass sie sich in einen anderen Mann verliebt hat?«
»Ja.«
»Aber das hat sie«, sagte Julie. »Und dann hat sie Ihnen das Versprechen abgenommen, sie in Ruhe zu lassen.«
»Ich habe damals schon geahnt, dass irgendetwas an dem Versprechen faul war. Schon in dem Moment, als ich es ihr gegeben habe, und selbst hinterher, als ich mit eigenen Augen gesehen habe, wie sie einem anderen Mann die Treue schwört, habe ich nicht geglaubt, dass Natalie aufgehört hat, mich zu lieben. Ich weiß, dass das ziemlich wahnhaft klingt oder zumindest so, als würde ich die dickste rosa Brille in der Geschichte der Menschheit tragen. Oder vielleicht, als wäre ich eine Art Egomane, der die Wahrheit nicht akzeptieren kann. Aber ich bin mir ganz sicher. Ich weiß, wie ich mich gefühlt habe, als ich mit ihr zusammen war – und ich weiß auch, wie sie sich gefühlt hat. Der ganze Kram, über den wir uns so oft lustig machen, dass zwei Herzen im Gleichtakt schlagen, dass die Sonne auch bei bedecktem Himmel scheint, dass eine Verbindung über das Körperliche hinausgeht, dass man mehr als ein paar Gedanken oder Ansichten teilt – plötzlich verstand ich es. Bei Natalie und mir stimmte das alles. Wir haben uns da nichts vorgemacht. Man merkt sofort, wenn sich in so eine Liebe ein falscher Ton einschleicht. Es gab zu viele Augenblicke, in denen es mir den Atem verschlug. Ich hätte alles dafür getan, sie zum Lachen zu bringen. Wenn ich ihr in die Augen blickte, konnte ich unendlich weit sehen. Wenn ich sie in den Armen hielt, wusste ich – so etwas erlebt man nur einmal im Leben und auch nur, wenn man Glück hat. Wir hatten einen seltenen und besonderen Ort gefunden, einen strahlenden, passenden Ort, und wenn man so glücklich ist, trauert man jedem Moment seines Lebens nach, den man nicht an diesem Ort verbringen kann, weil es einem wie Verschwendung vorkommt. Man bedauert andere Menschen, weil ihnen diese fortwährenden Ausbrüche der Leidenschaft und des Gefühls nicht vergönnt sind. Durch Natalie fühlte ich mich lebendig. In ihrer Nähe war alles überraschend, das Leben knisterte vor Spannung. So kam es mir damals vor – und ich weiß , dass es Natalie genauso erging. Wir waren nicht blind vor Liebe. Ganz im Gegenteil. Die Liebe hat uns klarsichtig gemacht, und deshalb wird mich das Ganze nicht loslassen. Ich hätte ihr das Versprechen niemals geben dürfen. Mein Kopf mag verwirrt gewesen sein, mein Herz war es nicht. Ich hätte auf mein Herz hören sollen.«
Als ich den kurzen Vortrag beendet hatte, liefen ihr Tränen übers Gesicht.
»Sie glauben das wirklich, oder?«
Ich nickte. »Ganz egal, was Sie mir erzählen.«
»Und trotzdem …«, sagte Julie.
Ich beendete den Gedankengang für sie: »Und trotzdem hat Natalie sich von mir getrennt und ihren alten Lover geheiratet.«
Julie zog eine Grimasse. »Ihren alten Lover?«
»Ja.«
»Todd war kein alter Lover.«
»Was?«
»Sie hatten sich gerade erst kennengelernt. Das ging alles aberwitzig schnell.«
Ich versuchte, den Kopf klar zu bekommen. »Aber sie hat mir doch gesagt, dass sie schon früher miteinanderausgegangen sind, sich geliebt und sogar zusammengewohnt haben, aber dann hätten sie sich getrennt, bis ihnen klar wurde, dass sie zusammen gehörten …«
Doch Julie schüttelte den Kopf. Der Boden unter meinen Füßen fing an zu schwanken.
»Es war eine stürmische Romanze«, sagte sie. »So hat Natalie mir das erzählt. Ich habe damals nicht verstanden, warum das mit der Hochzeit plötzlich so schnell gehen musste. Aber Natalie, na ja, sie war halt eine Künstlerin. Unberechenbar. Sie hatte, wie Sie es nannten, diese leidenschaftlichen Ausbrüche.«
Das Ganze war vollkommen unlogisch. Es ergab überhaupt keinen Sinn. Aber
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