Ich finde dich
es »Stundenpreise« gebe (genau wie im Ritz-Carlton), Farbfernseher (womit sie all jene Mitbewerber ausstachen, die noch Schwarz-Weiß-Fernseher im Zimmer hatten) und – mein Lieblings-Extra – »Jetzt mit Handtüchern!«
In diesem Laden brauchte man keinen Ausweis. Wahrscheinlich brauchte man nicht einmal einen Pulsschlag.
Die Frau am Empfang war über siebzig. Sie musterte mich mit Augen, die schon alles gesehen hatten. Auf ihrem Namensschild stand MABEL . Ihre Haare hatten die Beschaffenheit von Heu. Ich bat um ein Zimmer nach hinten hinaus.
»Haben Sie eine Reservierung?«, fragte sie.
»Das soll jetzt ein Witz sein, oder?«
»Stimmt«, sagte Mabel. »Aber die Zimmer hinten sind voll. Alle wollen Zimmer nach hinten raus. Liegt wahrscheinlich am guten Ausblick auf die Müllcontainer. Aber wenn Sie möchten, hätte ich ein hübsches Zimmer mit Blick auf den Staples-Büroartikelladen.«
Mabel gab mir den Schlüssel zu Zimmer 12, das sich nicht als der Alptraum entpuppte, den ich eigentlich erwartet hatte. Es war sauber und anständig . Ich versuchte, nicht daran zu denken, was dieses Zimmer im Laufe seiner Existenz alles gesehen hatte. Aber wenn ich mich an solchen Dingen störte, hätte ich auch nicht ins Ritz-Carlton gehen dürfen.
Voll bekleidet sank ich aufs Bett und fiel sofort in einen Schlaf, der so tief war, dass ich mich nicht ans Einschlafen erinnerte und beim Aufwachen auch keine Ahnung hatte, wie spät es war. Ich streckte die Hand zum Nachttisch aus, um auf mein iPhone zu sehen, als mir einfiel, dass ich es leider nicht mehr hatte. Die Polizei hatte es. Würden sie die Daten checken? Sahen sie sich an, auf welchen Websites ich war, lasen sie meine SMS und E-Mails? Würden sie auch mein Haus auf dem Campus checken? Sie hatten einen richterlichen Beschluss zur Ortung meines Handys bekommen, da musste ich doch annehmen, dass sie auch einen Durchsuchungsbeschluss für meine Wohnung hatten. Und wenn schon. Sie würden nichts Belastendes finden. Vielleicht ein paar Peinlichkeiten, aber wer hat noch nie etwas im Internet gesucht, was peinlich sein könnte?
Ich hatte immer noch Kopfschmerzen. Starke Kopfschmerzen. Außerdem stank ich wie ein Otter. Duschen würde helfen, aber nicht lange, wenn ich hinterher wieder dieselben Klamotten anzog. Ich taumelte in die helle Morgensonne, schirmte die Augen ab wie ein Vampir oder jemand, der sich zu lange in einem Spielcasino aufgehalten hatte. Mabel saß immer noch am Empfang.
»Wow, wann machen Sie denn mal Feierabend?«, fragte ich.
»Wollen Sie mich anbaggern?«
»Äh, nein.«
»Ansonsten sollten Sie sich noch ein bisschen frisch machen, bevor Sie richtig loslegen. Ich habe da gewisse Mindestanforderungen.«
»Hätten Sie ein Aspirin für mich?«
Mabel runzelte die Stirn, griff in ihre Handtasche und förderte ein kleines Arsenal an Schmerztabletten zu Tage: Paracetamol, Ibuprofen, Naproxen, Aspirin. Ich entschied mich für Paracetamol, schluckte zwei und bedankte mich bei ihr.
»Der Target unten an der Straße hat eine Abteilung für Übergrößen«, sagte Mabel. »Vielleicht sollten Sie sich ein paar neue Sachen kaufen.«
Prächtige Idee. Ich ging hin, kaufte eine Jeans, ein Flanellhemd, von Unterwäsche gar nicht zu reden. Dazu eine Reisezahnbürste, Zahnpasta und ein Deodorant. Ich wollte zwar nicht ewig auf der Flucht bleiben, aber unbedingt noch etwas erledigen, bevor ich mich der Polizei stellte.
Ich wollte von Angesicht zu Angesicht mit Natalies Schwester reden.
Letzte Anschaffung: ein Einweg-Handy. Ich rief Benedict auf seinem Handy und im Büro an. Er ging nicht ran. Wahrscheinlich war es ihm noch zu früh. Ich überlegte, wen ich noch anrufen könnte, und beschloss, es bei Shanta zu versuchen. Sie meldete sich nach dem ersten Klingeln.
»Hallo?«
»Hier ist Jake.«
»Was ist das für eine Telefonnummer?«
»Ein Einweg-Handy«, sagte ich.
Sie schwieg einen Moment lang. »Erzählst du mir, was los ist?«
»Zwei Polizisten aus Vermont suchen mich.«
»Wieso?«
Ich erklärte es schnell.
»Halt mal«, sagte Shanta. »Du bist vor der Polizei geflohen?«
»Ich hab ihnen nicht getraut. Ich dachte, die würden mich umbringen.«
»Dann stell dich jetzt.«
»Nachher. Aber nicht sofort.«
»Jake, hör mir zu. Wenn du auf der Flucht bist, wenn die Polizei dich sucht …«
»Ich muss erst noch etwas erledigen.«
»Du musst dich stellen.«
»Das werde ich auch, aber …«
»Aber was? Bist du übergeschnappt?«
Vielleicht. Ȁh,
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