Ich finde dich
Bürgerrechtler Archer Minor wurde erschossen. Zwei Personen starben bei einem Brand in Chelsea. Die Polizei erschoss einen unbewaffneten Teenager. Ein Mann brachte seine Exfrau um. Der Direktor einer Highschool wurde wegen Veruntreuung von Schulgeldern festgenommen.
Es war reine Zeitverschwendung.
Ich kniff die Augen zusammen und rieb sie. Aufgeben klang jetzt wirklich verlockend, wenn nicht gar vernünftig. Ich könnte mich hinlegen und die Augen schließen. Ich könnte mein Versprechen halten und den Wunsch der Frau respektieren, die ich für meine wahre Liebe hielt. Ja vielleicht hatten, wie Benedict nahegelegt hatte, womöglich auch Todd und Jed Natalie für ihre wahre Liebe gehalten. Ein sehr urtümliches Gefühl – nennen wir es Eifersucht – ergriff mich.
So leid es mir tat, aber ich konnte es mir nicht vorstellen.
Jed hatte mich nicht wie ein eifersüchtiger Liebhaber attackiert. Todd … ich hatte keine Ahnung, was da vorgefallen war, es spielte aber auch keine Rolle. Ich konnte mich nicht einfach zurückziehen. Es war einfach nicht meine Art … und wessen Art ist das schon? Wie konnte ein vernunftbegabter Mensch damit leben, dass so viele Fragen unbeantwortet blieben?
Eine leise Stimme in meinem Kopf meinte: Na ja, aber zumindest lebst du.
Egal. Es ging einfach nicht. Ich war angegriffen, bedroht, überfallen und festgenommen worden, darüber hinaus hatte ich einen Menschen getötet …
Immer langsam … Ich hatte einen Menschen getötet – und inzwischen kannte ich auch seinen Namen.
Ich googelte einen Namen: Otto Devereaux.
Ich ging davon aus, als ersten Treffer eine Todesanzeige zu bekommen. Aber so war es nicht. Der erste Link führte zu einem Forum für »Gangster-Fans«. Ja, allen Ernstes. Ich klickte auf ein Diskussionsthema, aber um dem Thread zu folgen, musste man sich anmelden. Also tat ich das.
Ein Thread hatte den Titel: » RIP , OTTO «. Ich klickte auf den Link.
Heilige Scheiße! Otto Devereaux, einem der härtesten Mafia-Killer und -erpresser, wurde das Genick gebrochen! Seine Leiche wurde wie ein Müllsack im Straßengraben am Saw Mill River Parkway entsorgt. Respekt, Otto. Du wusstest, wie man killt, Bro.
Ich schüttelte den Kopf. Was kam als Nächstes – eine Fanseite für verurteilte Kinderschänder?
Es folgte ungefähr ein Dutzend Kommentare von Leuten, die an ein paar von Ottos schrecklichsten Taten erinnerten und, ja, seine Arbeit lobten. Es heißt, im Internet könne man jede erdenkliche Verkommenheit finden. Ich war auf eine Seite für Bewunderer gewalttätiger Gangster gestoßen. Was für eine Welt.
Der vierzehnte Kommentar war ein Volltreffer:
Otto wird diesen Samstag im Franklin Funeral Home in Queens zu Grabe getragen. Es ist eine private Feier, ihr könnt also nicht hingehen und ihm die letzte Ehre erweisen. Fans können aber Blumen schicken. Die Adresse lautet:
Es wurde eine Adresse in Flushing, Queens, genannt.
Auf dem Tisch lag ein Notizblock. Ich nahm ihn, griff nach einem Stift und lehnte mich zurück. Dann schrieb ich Natalies Namen links auf die Seite. Darunter Todds. Dann folgten weitere Namen: meiner, Jed, Cookie, Bob, Otto – eigentlich alle Namen, die mir gerade einfielen. Delia Sanderson, Eban Trainor, Natalies Vater Aaron Kleiner, ihre Mutter Sylvia Avery, Julie Pottham, sogar Malcolm Hume. Alle. Auf der rechten Seite zeichnete ich dann von oben nach unten eine Zeitleiste.
Ich wollte so weit in die Vergangenheit gehen, wie ich konnte. Wann hatte das Ganze angefangen?
Ich hatte keine Ahnung.
Also noch einmal von vorn.
Vor fünfundzwanzig Jahren war Natalies Vater, der hier in Lanford unterrichtete, mit einer Studentin durchgebrannt. Laut Julie Pottham war ihr lieber, alter Dad umgezogen und hatte wieder geheiratet. Nur dass er nicht mehr aufzufinden war. Wie hatte Shanta es ausgedrückt? Der Apfel fällt nicht weit vom Stamm. Sowohl Natalie als auch ihr Vater waren wie vom Erdboden verschluckt. Beide wurden unsichtbar, fielen aus dem Raster.
Ich zog eine Verbindungslinie zwischen Natalie und ihrem Vater.
Wie konnte ich mehr über diese Verbindung herausbekommen? Ich dachte an das, was Julie gesagt hatte. Vielleicht wusste ihre Mom mehr, als sie erzählte. Vielleicht hatte sie Dads Adresse. Ich musste mit ihr reden. Aber wie? Sie war in einem Pflegeheim. Das hatte Julie erzählt. Ich wusste aber nicht, in welchem sie war, und bezweifelte, dass Julie es mir verraten würde. Aber es konnte nicht so schwer sein, Mrs Avery aufzuspüren.
Ich
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