Ich finde dich
kreiste den Namen von Natalies Mutter, Sylvia Avery, ein.
Zurück zur Zeitleiste. Ich ging zwanzig Jahre zurück, also bis zu der Zeit, als Todd Sanderson in Lanford studiert hatte. Nach dem Selbstmord seines Vaters wäre er fast des Colleges verwiesen worden. Ich dachte an seine Studentenakte und seine Todesanzeige. In beiden wurde erwähnt, dass Todd durch die Gründung einer Wohltätigkeitsorganisation Wiedergutmachung geleistet hatte.
Ich schrieb Fresh Start auf den Block.
Erstens war Fresh Start auf ebendiesem Campus gegründet worden, als Folge des Trubels, den Todd verursacht hatte. Zweitens hatte Natalie ihrer Schwester vor sechs Jahren erzählt, dass sie gemeinsam mit Todd die Welt bereisen und karitativ für Fresh Start arbeiten würde. Drittens hatte Todds richtige Frau Delia Sanderson mir erzählt, dass Fresh Start Todds große Leidenschaft gewesen war. Viertens war mein geliebter Mentor Professor Hume in der Entstehungsphase von Fresh Start Fachbereichsvorsitzender gewesen.
Ich klopfte mit dem Stift auf den Block. Fresh Start war immer dabei. Wobei genau, konnte ich allerdings nicht sagen.
Auf jeden Fall musste ich mir diese Wohltätigkeitsorganisation einmal genauer angucken. Wenn Natalie wirklich für Fresh Start unterwegs war, musste irgendjemand in dieser Organisation zumindest in groben Zügen wissen, wo sie sich aufhielt. Wieder suchte ich im Internet. Fresh Start half Menschen, einen Neustart in Angriff zu nehmen. Die Arbeit wirkte allerdings etwas unkoordiniert. So unterstützten sie zum Beispiel Operationen von Gaumenspalten bei Kindern. Sie halfen politischen Flüchtlingen bei der Asylsuche. Sie unterstützten Menschen mit finanziellen Problemen. Sie halfen Personen bei der Suche nach einer neuen Arbeitsstelle, unabhängig davon, was in der Vergangenheit vorgefallen war.
Das Motto am unteren Rand der Homepage fasste es zusammen: »Wir helfen jedem, der verzweifelt einen Neustart sucht.«
Ich runzelte die Stirn. Ging es nicht vielleicht noch etwas unbestimmter?
Es gab einen Spendenaufruf und den entsprechenden Link dazu. Fresh Start war eine gemeinnützige Organisation, daher konnte man die Spenden von der Steuer absetzen. Zuständige Personen wurden nicht aufgeführt – weder Todd Sanderson noch Malcolm Hume oder sonst irgendjemand. Es wurde auch keine Büroadresse genannt. Die Telefonnummer hatte die Vorwahl 843 – South Carolina. Ich wählte die Nummer. Ein Anrufbeantworter sprang an. Ich hinterließ keine Nachricht.
Im Internet fand ich eine Gesellschaft, die diverse Wohltätigkeitsorganisationen untersuchte, »damit Sie sicher spenden können«. Gegen eine kleine Gebühr schickten sie einen vollständigen Bericht über die jeweilige Organisation einschließlich Steuerformular 990 (was immer das sein mochte) und eine »verständliche Analyse mit vollständigen Finanzdaten, Beschlüssen der Organisation, den Biographien der Verantwortlichen, dem Eigentum der Organisation, den für Spendenwerbung und andere Aktivitäten ausgegebenen Summen«. Ich zahlte die kleine Gebühr. Ich bekam eine E-Mail, in der mir mitgeteilt wurde, dass ich den Bericht am folgenden Tag per E-Mail erhalten würde.
So lange konnte ich warten. Mein Kopf pulsierte wie ein geprellter Zeh. Ich verspürte ein überwältigendes Verlangen nach Schlaf, das von meinem Knochenmark auszugehen schien. Morgen früh würde ich zu Otto Devereaux’ Beerdigung fahren, aber jetzt brauchte der Körper Ruhe und Nahrung. Ich duschte, aß etwas und schlief wie ein Toter, was, wenn man sich ansah, was um mich herum passierte, der Situation angemessen zu sein schien.
FÜNFUNDZWANZIG
B enedict beugte sich ins Fenster seines eigenen Autos. »Das gefällt mir nicht.«
Ich machte mir nicht die Mühe zu antworten. Wir hatten das schon zigmal besprochen. »Danke, dass du mir deinen Wagen leihst.«
Mein Auto hatte ich mit den veränderten Kennzeichen auf der Straße in Greenfield stehen lassen. Irgendwann musste ich mir überlegen, wann ich es wieder abholte, aber das musste warten.
»Ich kann auch mitkommen«, sagte Benedict.
»Du musst unterrichten.«
Benedict widersprach nicht. Wir verpassten nie ein Seminar. Ich hatte in den letzten Tagen schon genug Studenten kleineren oder größeren Schaden zugefügt, indem ich mich der Suche nach Natalie widmete. Ich würde nicht zulassen, dass noch jemand in irgendeiner Form dafür büßen musste.
»Dein Plan besteht also darin, zu dieser Gangster-Beerdigung zu fahren?«
»Im Prinzip
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