Ich finde dich
Name war blau unterlegt, was bedeutete, dass auch sie einen Facebook-Account hatte. Ich brauchte nur auf ihren Namen zu klicken.
Was ich dann auch tat.
Als ihre Seite erschien – als ich Marie-Anne Cantins Profilfoto sah –, erkannte ich das Gesicht sofort.
Benedict hatte ihr Foto im Portemonnaie.
Oh Mann. Ich schluckte, lehnte mich zurück, schnappte nach Luft. Jetzt verstand ich es. Ich spürte Benedicts Schmerz förmlich. Ich hatte die große Liebe meines Lebens verloren. Benedict war es offenbar ebenso ergangen. Marie-Anne Cantin war in der Tat eine phänomenale Frau. Meine Beschreibung: hohe Wangenknochen, majestätisch, Afroamerikanerin, wobei Letzteres, wie mir auffiel, als ich mir ihr Profil weiter durchlas, nicht ganz stimmte.
Sie war keine Afroamerikanerin. Sie war, tja, Afrikanerin. Ihrer Facebook-Seite zufolge lebte Marie-Anne Cantin in Ghana.
Diese Tatsache war, nahm ich an, durchaus interessant, wenn auch auf eine Das-geht-mich-nichts-an-Art. Benedict hatte diese Frau offenbar irgendwie kennengelernt. Er hatte sich in sie verliebt. Er verehrte sie. Was sollte das mit seinem Besuch in Kraftboro, Vermont, zu tun …
Immer langsam mit den jungen Pferden.
Hatte ich mich nicht auch in eine Frau verliebt? Verehrte ich sie nicht auch immer noch? Und war ich nicht auch in Kraftboro, Vermont, gewesen?
War Kevin Backus womöglich Benedicts Version von Todd Sanderson?
Ich runzelte die Stirn. Das erschien mir doch recht unwahrscheinlich. Und irgendwie falsch. Trotzdem, so falsch es mir auch erschien, ich musste dem nachgehen. Schließlich war Marie-Anne Cantin im Moment meine einzige Spur. Ich klickte auf ihr Profil . Es war beeindruckend. Sie hatte in Oxford Wirtschaftswissenschaft studiert und in Harvard einen Jura-Abschluss gemacht. Sie arbeitete als Rechtsberaterin für die Vereinten Nationen. Sie lebte in Accra, der Hauptstadt Ghanas, und stammte auch von dort. Und sie befand sich, was ich schon wusste, »in einer Beziehung« mit Kevin Backus.
Und jetzt?
Ich klickte auf ihre Fotoalben, die allerdings nicht freigegeben waren. Ich hatte keine Möglichkeit, sie anzusehen. Dann hatte ich eine Idee. Ich klickte so lange auf den »Zurück«-Pfeil, bis ich wieder auf Kevin Backus’ Facebook-Seite war. Seine Fotoalben waren für jeden einsehbar. Also auch für mich. Okay, gut. Ich begann, sie durchzuklicken. Warum, wusste ich nicht genau. Ich hatte keine Vorstellung, was ich zu finden hoffte.
Kevin Backus hatte seine Fotos in verschiedene Alben sortiert. Ich fing mit dem Album an, das einfach »Glückliche Tage« hieß. Darin befanden sich gut zwanzig Bilder entweder von meinem Kevin mit seiner liebsten Freundin Marie-Anne oder gelegentlich Marie-Anne alleine, offenbar von Kevin geknipst. Sie wirkten glücklich. Korrigiere: Sie wirkte glücklich – er glückselig. Ich stellte mir vor, wie Benedict vor dem Computer saß und diese Fotos von der Frau, die er liebte, mit diesem Kevin an ihrer Seite durchklickte. Ich sah ihn mit einem Glas Scotch in der Hand vor mir. Ich sah vor mir, wie es immer dunkler im Zimmer wurde. Ich sah, wie das Licht des blauen Bildschirms sich auf seiner übergroßen Ameisenmensch-Brille spiegelte. Ich sah, wie ihm eine einsame Träne die Wange herunterlief.
Zu dick aufgetragen?
Facebook war ganz groß darin, Exliebhaber zu quälen, indem es immer alles im Blick behielt. Man konnte seinen Ex nicht mehr entkommen. Man hatte ihre Leben jederzeit direkt vor Augen. Mann, das ging an die Substanz. Das tat Benedict also nachts – er marterte sich. Hundertprozentig konnte ich das natürlich nicht sagen, ich war mir aber ziemlich sicher, dass es auf so etwas hinauslief. Ich dachte an den alkoholbeschwingten Abend in der Bar und daran, wie behutsam er das zerknitterte Foto von Marie-Anne aus dem Portemonnaie geholt hatte. Ich hatte die Qual in seinen gelallten Worten noch im Ohr.
»Die einzige Frau, die ich je lieben werde.«
Benedict, du armes Schwein.
Armes Schwein … vielleicht war er das ja … aber ich hatte immer noch keine Ahnung, was das bedeutete oder in welcher Beziehung das Ganze zu Benedicts kürzlichem Besuch in Vermont stand. Ich klickte noch ein paar Fotoalben durch. Eins hieß »Familie«. Kevin hatte zwei Brüder und eine Schwester. Auf mehreren Fotos war seine Mutter zu sehen. Den Vater entdeckte ich nicht. Es gab ein Fotoalbum mit dem Namen »Kintampo Wasserfall« und ein weiteres, das »Mole Nationalpark« hieß. Darin befanden sich vor allem Fotos von
Weitere Kostenlose Bücher