Ich finde dich
rüber.« Dann fragte er mich: »Wie lange brauchen Sie den Rechner, Pops?«
»Zehn Minuten«, sagte ich.
»Sie haben fünf. Terminal sechs. Der ist heiß, Mann. Machen Sie nix Lahmes dran, damit er nicht auskühlt.«
Fantastisch. Ich loggte mich ein und öffnete die E-Mail. Ich lud den Finanzbericht von Fresh Start herunter. Er war achtzehn Seiten lang: eine Gewinn- und Verlustrechnung, Diagramme für Ausgaben, Einnahmen, Profitabilität, Liquidität, Abschreibungen und Lebensdauer von Immobilien und anderen Sachanlagen, eine Aufstellung über die Arten der Verbindlichkeiten, eine Bilanz, eine sogenannte Marktwertbestimmung …
Ich unterrichtete Politikwissenschaft. Von Zahlen und Geschäften verstand ich nichts.
Weiter hinten fand ich die Entstehungsgeschichte der Organisation. Sie war tatsächlich vor zwanzig Jahren von drei Leuten gegründet worden: Professor Malcolm Hume wurde als wissenschaftlicher Berater genannt. Dazu zwei Studenten als gleichberechtigte Präsidenten: Todd Sanderson und Jedediah Drachman.
Mir gefror das Blut in den Adern. Wie lautete die gängige Abkürzung für jemanden, der Jedediah hieß?
Jed.
Ich hatte immer noch keine Ahnung, was vorging, aber irgendwie drehte sich offenbar alles um Fresh Start.
»Zeit ist um, Pops.« Der Chiller. »In einer Viertelstunde ist der nächste Terminal frei.«
Ich schüttelte den Kopf. Ich bezahlte für die fünf Minuten und taumelte zurück zum Wagen. War mein Mentor irgendwie in die Sache verwickelt? Was für gute Taten waren es, die Fresh Start veranlassten, mich umbringen zu wollen? Ich wusste es nicht. Es war Zeit, nach Hause zu fahren und darüber nachzudenken oder vielleicht einmal mit Benedict über das Ganze zu sprechen. Eventuell hatte er ja eine Idee.
Ich ließ Benedicts Wagen an und fuhr, immer noch leicht benommen, Richtung Westen auf den Northern Boulevard. Ich hatte die Adresse des Franklin Beerdigungsinstituts ins Navigationssystem eingegeben, ging aber davon aus, dass ich für den Rückweg nur auf Letzte Ziele tippen musste und eine Liste bekäme, in der auch Benedicts Wohnung enthalten war. An der nächsten roten Ampel tippte ich also auf Letzte Ziele . Ich wollte gerade zu Benedicts Adresse in Lanford, Massachusetts, herunterscrollen, als mein Blick an der ersten Adresse hängen blieb, dem Ort, den Benedict als letzten besucht hatte. Sie lautete nicht Lanford, Massachusetts.
Sie lautete Kraftboro, Vermont.
SECHSUNDZWANZIG
M eine Welt geriet ins Wanken, taumelte, kippte und stand Kopf.
Ich starrte nur stumm auf das Navigationssystem. Die vollständige Adresse lautete 260 VT -14, Kraftboro, Vermont. Ich kannte die Adresse. Ich hatte sie vor Kurzem in mein eigenes Navi eingegeben.
Es war die Adresse des Creative-Recharge-Refugiums.
Mein bester Freund hatte das Refugium besucht, in dem Natalie vor zehn Jahren gewohnt hatte. Er hatte den Ort besucht, an dem sie Todd geheiratet hatte. Er hatte den Ort besucht, an dem Jed und seine Bande zuletzt versucht hatten, mich umzubringen.
Ein paar Sekunden lang, vielleicht länger, konnte ich mich nicht rühren. Ich saß reglos im Wagen. Das Radio war an, ich hätte aber nicht sagen können, was gerade lief. Es kam mir vor, als würde die Welt stillstehen. Die Realität brauchte eine Weile, um durch den dicken Dunst, der mich umgab, zu mir durchzudringen. Als sie das geschafft hatte, traf sie mich wie ein unerwarteter Kinnhaken.
Ich war allein.
Selbst mein bester Freund hatte mich belogen – Korrektur: belog mich immer noch .
Einen Moment, sagte ich mir. Dafür muss es eine logische Erklärung geben.
Doch wie sollte die aussehen? Welche mögliche Erklärung konnte es dafür geben, dass diese Adresse in Benedicts Navigationssystem erschien? Was zum Teufel ging hier vor? Wem konnte ich noch trauen?
Die letzte Frage war die einzige, die ich beantworten konnte: Niemandem.
Ich bin groß und kräftig. Ich halte mich für ziemlich unabhängig. Aber ich glaube nicht, dass ich mich jemals so klein oder so herzzerreißend einsam gefühlt hatte wie in diesem Moment.
Ich schüttelte den Kopf. Okay, Jake, hör auf damit. Schluss mit dem Selbstmitleid. Zeit zu handeln.
Als Erstes ging ich die anderen Adressen in Benedicts Navi durch. Ich fand nichts Interessantes. Schließlich fand ich seine Wohnung und tippte darauf, damit das Navi mich zurückleitete. Ich fuhr los. Unterwegs schaltete ich im Radio zwischen den Sendern hin und her, immer auf der Suche nach dem einen, schwer zu definierenden,
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