Ich folge deinem Schatten
Schuld auf Zan abwälzen.«
»Warum sollte das Mädchen das alles erfinden?«, fragte Willy.
»Wer weiß? Vielleicht damit sie in den Augen der Öffentlichkeit besser dasteht.«
Eine Stunde später klingelte Alvirah beim Hausmeister in Zans altem Apartmentgebäude. Eine junge Frau im Morgenmantel öffnete die Tür.
»Sie müssen Tiffany Shields sein«, sagte Alvirah und zeigte ihr schönstes Lächeln.
»Und? Was wollen Sie?«, kam die mürrische Antwort.
Alvirah hielt ihr ihre Visitenkarte hin. »Ich bin Alvirah Meehan, Kolumnistin für den New York Globe. Ich würde Sie gern interviewen, weil ich einen Artikel über Alexandra Moreland schreibe.« Das war nicht gelogen, beruhigte sich Alvirah. Sie hatte wirklich vor, eine Kolumne über Zan zu verfassen.
»Sie wollen also mal wieder über die unfähige Babysitterin schreiben, der alle die Schuld gegeben haben, weil sie eingeschlafen ist, obwohl die ganze Zeit die Mutter die Täterin war und das eigene Kind entführt hat«, herrschte Tiffany sie an.
»Nein. Ich will über die junge Frau schreiben, die krank war und sich nur auf das Babysitten eingelassen hat, weil die Mutter unbedingt zu einer Kundin musste und das neue Kindermädchen nicht erschienen ist.«
»Tiffany, wer ist da?«
Im Flur, wie Alvirah erkennen konnte, kam ein breitschultriger Mann mit angehender Glatze auf sie zu. Alvirah wollte sich schon vorstellen, als Tiffany sagte: »Dad, die Frau will mich für einen Zeitungsartikel interviewen.«
»Meine Tochter hat schon genug unter euch Journalisten zu leiden gehabt«, erwiderte Tiffanys Vater. »Gehen Sie wieder.«
»Ich will nicht, dass jemand meinetwegen zu leiden hat«, sagte Alvirah. »Tiffany, hören Sie mir zu. Zan Moreland hat mir erzählt, wie sehr Matthew Sie gemocht hat und wie gut Sie miteinander ausgekommen sind. Zan hat gewusst, dass Sie krank waren, und macht sich selbst schreckliche Vorwürfe, weil sie Sie dazu gedrängt hat, auf Matthew aufzupassen. Das ist die Geschichte, die ich erzählen möchte.«
Alvirah kreuzte die Finger, während Vater und Tochter sich ansahen. Dann sagte der Vater: »Ich finde, du solltest mit dieser Frau reden, Tiffany.«
Tiffany öffnete die Tür weit genug, damit Alvirah eintreten konnte. Ihr Vater begleitete sie ins Wohnzimmer, wo er sich vorstellte. »Ich bin Marty Shields. Ich lass Sie beide dann mal allein. Ich muss ein Stockwerk höher, da hat jemand Probleme mit seinem Schloss.« Dann betrachtete er ihre Visitenkarte. »Hey, einen Moment. Sind Sie nicht die Frau, die in der Lotterie gewonnen und ein Buch über Verbrechen geschrieben hat?«
»Ja, die bin ich«, antwortete Alvirah.
»Tiffany, deine Mutter war hin und weg von dem Buch. Mrs. Meehan, Sie haben ihr das Buch damals in einem Buchladen signiert. Und sie hat sich sehr nett mit Ihnen unterhalten. Sie ist Verkäuferin bei Bloomingdale’s, sie ist jetzt leider in der Arbeit und wird todunglücklich sein, dass sie nicht da ist. Gut, ich muss los.«
Was für ein Glück, dass seiner Frau mein Buch gefallen hat, dachte Alvirah, als sie sich auf einen Stuhl neben der Couch setzte, auf der Tiffany sich zusammengerollt hatte. Tiffany ist nur ein Kind, sagte sie sich, und ich kann verstehen, unter welchem Stress sie die ganze Zeit gestanden haben muss.
»Tiffany«, begann sie, »mein Mann und ich sind seit Matthews Verschwinden gut mit Zan befreundet. Ich muss betonen, dass sie nicht ein einziges Mal Ihnen die Schuld dafür gegeben hat, was an jenem Tag passiert ist. Ich habe sie nie auf Matthew angesprochen, weil ich weiß, wie schwer es für sie ist, über ihn zu reden. Was war er für ein Junge?«
»Man musste ihn einfach mögen«, kam es prompt von Tiffany. »Er war so klug. Kein Wunder, Zan hat ihm jeden Abend vorgelesen und ist mit ihm an den Wochenenden immer woandershin gegangen. Er war gern im Zoo und hat die Namen aller Tiere gekannt. Er konnte bis fünfzig zählen, ohne eine einzige Zahl auszulassen. Klar, Zan ist eine Künstlerin, die Zeichnungen, die sie für ihre Pläne und Entwürfe von den Zimmern und Möbeln anfertigt, sind einfach wundervoll. Obwohl er erst drei war, sah man, dass Matthew ein richtiges Talent zum Zeichnen hatte. Und mit seinen großen braunen Augen hat er immer so ernst dreingeschaut, wenn ihn etwas beschäftigt hat. Seine Haare haben damals gerade so einen roten Schimmer bekommen.«
»Und Sie und Zan waren richtig befreundet?«
Argwohn schlich sich in Tiffanys Blick. »Ja, so kann man das wohl
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