Ich fühle was, was du nicht siehst - Mallery, S: Ich fühle was, was du nicht siehst
auszusetzen.
„Vielleicht ist sie gar nicht der Mensch, auf den du böse bist”, wandte Josh ein.
Ethan taten die Beine weh. Seine Muskeln zitterten ein wenig vom Training. Damit er die Worte seines Freundes nicht hören, geschweige denn darüber nachdenken musste, beschleunigte er sein Tempo noch mehr. Dann piepste der Crosstrainer – es war das Signal, dass sein 30-minütiges Programm zu Ende war. Ethan wurde zögernd langsamer.
„Sicher, Liz hat dir nicht gleich gesagt, dass sie schwanger ist”, fuhr Josh fort. „Aber es geht doch darum, dass sie zurückgekommen ist und es zumindest versucht hat.”
Ethan stieg von dem Gerät und griff nach seinem Handtuch. „Danke für das Update.”
Josh ignorierte seinen Zynismus. „Rayanne hat dir die Wahrheit verschwiegen. Sie war deine Frau. Zwischen euch hätte es eine Vertrauensbasis geben müssen. Und du hast ihr ja auch vertraut.”
Ethan wollte seinem Freund schon eine barsche Antwort geben, als ihm einfiel, dass Josh ebenfalls von einer Frau betrogen worden war. Und zwar im großen Stil. Vielleicht wusste er, wovon er redete.
„Rayanne hat sich bedroht gefühlt.” Ethan nahm seine Wasserflasche. „Sie war schwanger, als wir geheiratet haben.”
„Das habe ich mir fast gedacht.”
Ethan zog fragend die Augenbrauen hoch.
„Ach, komm schon.” Josh besprühte die Griffe seines Fitnessgeräts mit Desinfektionsmittel, wischte sie ab und reichte Ethan das Spray. „Sie war überhaupt nicht dein Typ. Ich konnte mir nie erklären, warum ihr zwei ein Paar geworden seid.”
„Ich habe damals praktisch Tag und Nacht gearbeitet, und sie war plötzlich da”, erklärte Ethan. „Ich musste den Job von Grund auf lernen, habe hart gearbeitet und dann auch noch mit den Windkraftwerken begonnen. Viel Zeit für Dates blieb mir da nicht. Eines Tages ist Rayanne in meinem Büro aufgetaucht, und ich war interessiert.”
Er ersparte sich zu sagen, dass er von Anfang an gewusst hatte, dass es nicht von Dauer sein würde. Schlimm genug, dass er es Liz gegenüber zugegeben hatte. Aus ihm unerklärlichen Gründen war ihm wichtig gewesen, dass sie die Wahrheit erfuhr. Doch sonst ging das niemanden etwas an. Rayanne war trotz allem seine Frau gewesen. Sie hatte seine Loyalität verdient.
„Sie war erst ein paar Monate schwanger, als Liz aufgetaucht ist”, erzählte er. „Ich war beruflich unterwegs. Was Liz ihr gesagt hat, muss Rayanne furchtbar erschreckt haben. Da ich ihr ja von Liz und mir erzählt hatte, hat sie gewusst, wie ernst es zwischen uns früher war. Vielleicht hatte sie angesichts der Tatsache, dass ich schon einen Sohn hatte, auch Angst, dass mir unser Baby nicht mehr so wichtig sein würde.”
Er konnte nur vermuten, dass es so gewesen war. Schließlich sah er die Dinge nur aus seiner eigenen Perspektive. Rayanne konnte er ja nicht mehr fragen.
Im Grunde wollte er nur das Beste von ihr denken. Doch es ließ sich nun mal nicht leugnen, dass sie ihr Geheimnis bis zu ihrem Tod bewahrt hatte. Sogar als sie beide gewusst hatten, dass sie sterben würde, hatte sie ihm Tylers Existenz verschwiegen. Etwas, das er nur schwer verzeihen konnte.
„Du bist immer noch sauer”, stellte Josh fest.
„Manchmal.”
„Ist dir schon jemals in den Sinn gekommen, dass du deine Wut auf Rayanne an Liz auslässt?”
Ethan starrte seinen Freund an. „Wovon redest du?”
Josh zuckte die Achseln. „Ich will damit nur sagen, dass Liz natürlich schuld ist – aber du und Rayanne seid es auch. Auf jemanden böse zu sein, der tot ist, kommt nie besonders gut. Wer bleibt also noch übrig? Liz.”
Ethan trank sein Wasser aus und warf die leere Flasche in den Mülleimer. Dann legte er sich sein Handtuch um die Schultern und machte sich auf den Weg in die Umkleidekabine. Josh schloss sich ihm an.
Sie gingen die Treppe hinunter und stießen die Schwingtür auf. Das, was Josh gesagt hat, ist nicht von der Hand zu weisen, dachte Ethan.
„Seit wann bist du so verständnisvoll?”, fragte er.
„Keine Ahnung.” Josh zuckte die Achseln.
„Das gefällt mir nicht.”
„Mir auch nicht. Ich komme mir dabei wie eine Frau vor. Also erzähl es nicht weiter.”
Der Samstag versprach genauso heiß zu werden wie die letzten Tage. Um zehn Uhr morgens hatte es fast dreißig Grad. Die Klimaanlage im Haus funktionierte mehr schlecht als recht, und Liz hatte sie bereits vor geraumer Zeit auf die Liste mit den Reparaturen gesetzt. Der zuständige Handwerker war bis jetzt allerdings
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