Ich fürchte mich nicht: Roman (German Edition)
sich ausgestreckt auf den Spiegel stürzen. Ich weiß nur, dass ich spüren will, wie Warner das Genick bricht. Ich will, dass er dieselben Qualen empfindet, die er gerade diesem Kind angetan hat. Ich will ihn sterben sehen. Ich will ihn um Gnade betteln sehen.
Ich fliege durch die Betonwände.
Ich zertrümmere das Glas mit den Fingern.
Ich halte Schutt in einer Hand und Stoff von Warners Hals in der anderen, und auf meinen Kopf sind 50 Gewehre gerichtet. Die Luft riecht durchdringend nach Zement und Schwefel, und Glassplitter fallen klirrend zu Boden wie zerschmetterte Herzen.
Ich knalle Warner gegen die Wand.
»Keiner schießt auf sie«, ächzt Warner. Ich habe seine Haut noch nicht berührt, aber ich habe die seltsame Vorstellung, dass ich ihm seine Rippen ins Herz rammen könnte, wenn ich noch fester zudrücke.
»Ich sollte Sie umbringen.« Meine Stimme bricht in einem Atemschwall aus mir heraus.
»Du –« Er versucht zu schlucken. »Du hast – du hast gerade eine Betonwand mit bloßen Händen durchbrochen.«
Ich blinzle. Wage es nicht, mich umzudrehen. Aber ich weiß auch so, dass er die Wahrheit sagt. Es kann nicht anders sein. Gedanken irren durch mein Hirn wie durch ein Labyrinth.
Einen Moment lang wird mir schwarz vor Augen.
Die Gewehre
klick
klick
klick
Jeder Moment ist geladen.
»Wer ihr was antut, wird von mir erschossen«, bellt Warner.
»Aber, Sir –«
» WEGTRETEN, SOLDAT –«
Die rasende Wut ist plötzlich verschwunden. Mein Hirn hat sich längst der Konfusion ergeben. Ich habe keine Ahnung, was ich getan habe. Ich weiß offenbar nicht, wozu ich imstande bin, weil ich nicht wusste, dass ich überhaupt etwas zerstören kann, und ich fürchte fürchte fürchte mich plötzlich so sehr vor meinen eigenen zwei Händen. Benommen taumle ich rückwärts, sehe dabei, wie Warner mich gierig betrachtet, eine jungenhafte Faszination in den smaragdgrünen Augen. Er zittert förmlich vor Begeisterung.
In meinem Hals sitzt eine Schlange, und ich kann sie nicht schlucken. Ich starre Warner an. »Wenn Sie mich jemals wieder in so eine Lage bringen, bringe ich Sie um. Und ich werde es mit Freude tun.«
Ich bin mir nicht sicher, ob ich das nicht wirklich ernst meine.
26
Adam findet mich eingerollt in der Dusche auf dem Boden.
Ich habe schon so lange geweint, dass all das heiße Wasser aus meinen Tränen bestehen muss. Die Kleider kleben mir am Körper, nass und nutzlos. Ich will sie wegwaschen. Ich will ertrinken im Vergessen. Ich will dumm, stumm und gänzlich hirnlos sein. Will mir die Glieder abschneiden. Will diese Haut loswerden, die töten kann, und diese Hände, die zerstören, und diesen Körper, den ich nicht im Geringsten verstehe.
Alles zerfällt.
»Juliette …« Adam drückt die Hand an die Scheibe. Ich höre ihn kaum.
Als ich nicht reagiere, öffnet er die Tür. Rebellische Tropfen prasseln auf ihn nieder, und er zieht rasch seine Stiefel aus, kniet sich auf den Kachelboden. Greift in die Dusche und berührt meine Arme, und als ich das spüre, will ich erst recht sterben. Er seufzt und zieht mich ein Stück hoch. Nimmt mein Gesicht in die Hände und schaut tief in mein Inneres, bis ich den Blick abwende.
»Ich weiß, was passiert ist«, sagt er ruhig.
Meine Kehle ist ein Reptil mit Schuppenhaut. »Man sollte mich einfach töten«, krächze ich mühsam.
Adams Arme umfassen mich, bis er mich hochgezogen hat und ich wacklig auf den Beinen stehe. Er tritt in die Dusche und schiebt die Tür zu.
Ich ringe um Luft.
Er drängt mich an die Wand, und ich sehe nur sein weißes tropfnasses T-Shirt, die Tropfen, die über sein Gesicht tanzen, die Welt in seinen Augen, nach der ich mich verzehre.
»Es war nicht deine Schuld«, raunt er.
»Ich bin aber so«, würge ich hervor.
»Nein. Warner hat ein falsches Bild von dir«, erwidert Adam. »Du bist nicht so, wie er dich haben will, und du darfst nicht zulassen, dass er dich zerstört. Halt dich aus seinem Kopf raus. Er will erreichen, dass du dich selbst für ein Monster hältst. Er will, dass du keine andere Chance siehst, als dich ihm anzuschließen. Er will dich glauben machen, dass du niemals ein normales Leben führen kannst –«
»Aber das ist ja auch so.« Ich bemühe mich, nicht mehr zu schluchzen. »Ich werde niemals –«
Adam schüttelt den Kopf. »Doch. Wir werden fliehen. Ich werde dich beschützen.«
»W-wie kannst du jemanden mögen, der so ist … wie ich ?« Ich starre atemlos auf seinen Mund, betrachte die
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