Ich fürchte mich nicht: Roman (German Edition)
Ich gebe mir keine Mühe, Interesse zu heucheln.
Vielleicht mache ich es mir selbst schwer.
»Ich kann nicht fassen, dass Warner die Entfernung der Kameras wirklich zugelassen hat«, sagte Adam eines Abends zu mir.
»Er ist verrückt und vollkommen irrational. Er ist auf eine Art krank im Kopf, die ich nie begreifen werde.«
Adam seufzte. »Er ist besessen von dir.«
»Was?« Mir fielen fast die Augen raus vor Verblüffung.
»Er redet nur über dich.« Adam verfiel einen Moment in Schweigen und blickte finster. »Schon bevor du hier warst, habe ich Geschichten über dich gehört. Deshalb habe ich mich freiwillig gemeldet, als er jemanden gesucht hat, um dich auf die Probe zu stellen. Warner hat monatelang Informationen über dich gesammelt: Adressen, Ärzteakten, Aussagen, Verwandtschaftsverhältnisse, Geburtsurkunden, Bluttests. Die gesamte Armee hat über dieses neue Projekt geredet; alle wussten, dass Warner nach einem Mädchen suchte, das in einem Supermarkt einen kleinen Jungen getötet hatte. Ein Mädchen namens Juliette.«
Ich hielt den Atem an.
Adam schüttelte den Kopf. »Ich wusste, dass es um dich ging. Es konnte nur so sein. Ich fragte Warner, ob ich ihm bei dem Projekt helfen könne – ich sagte ihm, ich sei mit dir zur Schule gegangen, habe von dem kleinen Jungen gehört, habe dich schon persönlich erlebt.« Er lachte bitter. »Warner war begeistert. Er fand, das würde das Experiment noch interessanter machen«, fügte Adam angewidert hinzu. »Und ich wusste, wenn er irgendein perverses Projekt mit dir plante –« Adam zögerte. Schaute beiseite. Strich sich durchs Haar. »Ich wusste einfach, dass ich was unternehmen musste. Ich dachte, ich könnte dir helfen. Aber nun ist alles noch schlimmer geworden. Warner redet ohne Unterlass darüber, was du alles kannst, wie wertvoll du für ihn bist und wie aufregend es für ihn ist, dich hier zu haben. Das fällt allen auf. Warner ist skrupellos – er kennt keine Gnade. Er liebt den Rausch der Macht, liebt es, Menschen zerstören zu können. Aber irgendwas an ihm verändert sich, Juliette. Er ist so versessen darauf, dich … an seiner Seite zu wissen. Und trotz all seiner Drohungen will er dich nicht dazu zwingen. Er will, dass du aus freien Stücken zu ihm kommst. Dass du dich freiwillig für ihn entscheidest.« Er senkte den Blick, atmete tief ein. »Er verliert seine Härte. Und sobald ich sein Gesicht sehe, muss ich mich zusammenreißen, damit ich nicht irgendwas Dummes tue. Wie ihm die Nase zu zertrümmern.«
Ja. Warner verliert seine Härte.
Er ist argwöhnisch – mit gutem Grund. Im Umgang mit mir ist er mal geduldig, dann wieder ungeduldig. Ständig unter Strom. Ein wandelnder Widerspruch.
Die Kameras sind weg, aber manchmal befiehlt er Adam, vor meiner Tür zu schlafen, damit ich nicht flüchte. Sagt, ich könnte alleine zu Mittag essen, bestellt mich dann aber doch zu sich. Die wenigen Stunden, die Adam und ich zusammen verbringen könnten, werden uns meist gestohlen. Aber wenn er in meinem Zimmer schlafen darf, liege ich die ganze Nacht in seinen Armen.
Wir schlafen jetzt beide auf dem Boden, aneinandergeschmiegt, um uns zu wärmen, obwohl wir eine Decke haben. Wenn er mich berührt, explodiert etwas in mir, und ich stehe unter Strom. Ich wünschte, ich könnte dieses Gefühl in Händen halten.
Adam berichtet mir von den neuesten Ereignissen, Gerüchten unter den Soldaten. Es gibt über das ganze Land verteilte Kommandozentralen. Warners Vater sitzt im Kapitol und hat seinem Sohn die Verantwortung über diesen gesamten Sektor übertragen. Adam sagt, Warner hasst seinen Vater, liebt aber die Macht. Die Zerstörung. Die Verwüstung. Während Adam erzählt, streichelt er meinen Kopf und hält mich ganz fest, als fürchte er, dass ich verschwinden könnte. Er schildert mir Menschen und Orte, bis ich einschlafe, bis die Traumdroge zu wirken beginnt und ich in eine Welt gerate, in der es keine Zuflucht, keine Erlösung, keine Befreiung gibt außer seinem Raunen an meinem Ohr. Schlaf ist das Einzige, worauf ich mich freue dieser Tage. Ich kann mich kaum mehr erinnern, warum ich früher im Schlaf geschrien habe.
Es wird alles zu angenehm, und das macht mir Angst.
»Zieh das an«, sagt Warner zu mir.
Das Frühstück findet regelmäßig im blauen Zimmer statt. Ich esse und frage nicht, wo das Essen herkommt, ob die Angestellten bezahlt werden, wie dieses Gebäude so viele Leute ernähren und über so viel Strom und Wasser verfügen kann.
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