Ich fürchte mich nicht: Roman (German Edition)
kleiner Junge, nur mit einer Windel bekleidet, kommt hereingelaufen. Seine Augen sind verbunden, und er schluchzt verängstigt.
Ein Nadelstich, und mein Dasein zerplatzt.
»Wenn du ihn nicht rettest«, ertönt Warners Stimme, »werden wir es auch nicht tun.«
Dieser Junge.
Er muss eine Mutter einen Vater irgendjemanden haben, der ihn liebt, dieser Junge dieser Junge dieser Junge, der da blindlings vorwärtsstolpert. Jeden Moment könnte er von einem Metallstachel durchbohrt werden.
Ihn zu retten ist nicht schwer: Ich muss ihn nur hochnehmen, eine sichere Stelle finden und abwarten, bis das Experiment beendet ist.
Es gibt nur ein Problem.
Wenn ich ihn anfasse, könnte er sterben.
25
Warner weiß, dass ich keine Wahl habe. Er hat mich in diese Lage gebracht, um einen weiteren Beweis für meine Fähigkeiten zu bekommen. Und zu diesem Zweck ist er bereit, ein unschuldiges Kind zu foltern.
Es gibt nur eine Möglichkeit.
Ich muss es riskieren, bevor der kleine Junge einen falschen Schritt tut.
Ich rufe mir rasch in Erinnerung, wo die Fallen sitzen, umgehe sie so gut wie möglich und nähere mich dem Jungen.
Atme kurz ein, blicke auf das zitternde Kind vor mir und bete, dass ich die richtige Entscheidung getroffen habe. Ich will gerade das Top ausziehen, um ihn damit zu schützen, als ich spüre, wie der Boden bebt. Anzeichen des Terrors. Ich habe noch eine halbe Sekunde, bevor die Stacheln wieder herausgeschossen kommen.
Ich reiße den Kleinen vom Boden hoch, in meine Arme.
Seine Schreie durchlöchern mich wie Todesschüsse, jede Sekunde ein Treffer. Er schlägt und tritt wild um sich, schreit schrill, bis der Schmerz ihn lähmt und er in meinen Armen erschlafft. Und ich werde in Stücke gerissen, meine Augen, meine Knochen, meine Adern attackieren mich, quälen mich mit den Erinnerungen an das Grauen, für das ich verantwortlich bin.
Schmerzen und Energie aus dem Körper des Kleinen sickern in meinen, jagen durch seine Glieder und brechen so wuchtig in mich ein, dass ich den Jungen fast fallen lasse. Als durchlebte ich aufs Neue einen Alptraum, den ich seit drei Jahre vergessen wollte .
»Absolut beeindruckend«, höre ich Warner seufzen, und mir wird klar, dass ich recht hatte. Er beobachtet mich durch diesen Spiegel. »Hervorragend, Schätzchen. Ich bin überwältigt.«
Ich bin zu verzweifelt, um ihn zu beachten. Habe keine Ahnung, wie lange dieses abscheuliche Spiel noch dauern soll. Muss unbedingt Stoff zwischen mich und den Körper des Kleinen bringen.
Nun verstehe ich, weshalb ich so wenig anhabe.
Ich drehe ihn und kriege seine Windel zu fassen. Halte ihn auf der Hand hoch und hoffe verzweifelt, dass ich ihm noch nicht ernsthaft geschadet habe.
Er schluchzt auf, sein Körper zuckt und bewegt sich.
Ich könnte heulen vor Freude.
Aber dann beginnt er wieder zu schreien, diesmal vor Angst. Er zappelt, um sich zu befreien, und mir bricht fast das Handgelenk, als ich versuche ihn festzuhalten. Die Augenbinde will ich ihm nicht abnehmen. Lieber sterbe ich, als dass ich zulasse, dass er diesen Ort und mein Gesicht sieht.
Ich beiße so fest die Zähne zusammen, dass meine Kiefer knacken. Wenn ich ihn absetze, wird er loslaufen. Und wenn er läuft, wird er sterben. Ich muss ihn festhalten.
Das Dröhnen alter Maschinen lässt mein Herz höher schlagen. Die Stacheln versinken, einer nach dem anderen, bis alle verschwunden sind und der Raum plötzlich so harmlos wirkt, als hätte ich mir die Bedrohung eingebildet. Ich setze den Jungen ab und beiße mir auf die Lippe, um nicht laut aufzuschreien, weil mein Handgelenk pocht vor Schmerz.
Der Kleine rennt los und stößt dabei an meine nackten Beine.
Er schreit auf, schaudert, fällt zu Boden und rollt sich schluchzend ein. Ich erwäge ernsthaft, mich selbst zu zerstören, diese Welt loszuwerden. Tränen strömen mir übers Gesicht, und ich wünsche mir nichts so sehr, wie dem Jungen zu helfen, ihn in den Arm zu nehmen, seine Wangen zu küssen und ihm zu erzählen, dass ich mich um ihn kümmern will, mit ihm weglaufen und spielen und ihm abends Geschichten vorlesen. Aber ich weiß, dass ich das nicht kann. Dass ich außerstande dazu bin. Dass es unmöglich ist.
Und plötzlich verschiebt sich etwas in mir.
Ich werde von einer so rasenden Wut erfasst, dass ich fast vom Boden abhebe. Ich koche förmlich vor blindwütigem Hass und Ekel. Wie meine Füße sich im nächsten Moment bewegen, verstehe ich nicht. Ich weiß nicht, was meine Hände tun, wieso sie
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