Ich gegen Amerika: Ein deutscher Anwalt in den Fängen der US-Justiz (German Edition)
warm genug waren. Der Gang zur Toilette unter Wahrung einer minimalen Intimsphäre. Kontakt nach Hause, in Form von Briefen oder Telefonaten. Aber auch ein bisschen Kommunikation mit den Menschen, die mich jeden Tag umgaben. Ich lernte sehr schnell zu unterscheiden, mit welchen guards man reden, vielleicht sogar mal einen Scherz riskieren konnte, und mit welchen nicht. Ich suchte mir meine Verbündeten unter den Mithäftlingen. Und ich hörte keinen Augenblick auf, mich damit auseinanderzusetzen, wie ich hier möglichst schnell wieder rauskam. Mir kam dabei eine Eigenschaft zu Hilfe, die mich schon mein ganzes Leben lang begleitet: Ich habe noch nie lange mit den Umständen gehadert. Wenn ich eine Niederlage erlitten hatte, gab es für mich immer nur eine Blickrichtung – nach vorne.
In einer Hinsicht konnte ich meine Familie sogar beruhigen: «‹Übergriffe› von Gefangenen untereinander habe ich bisher weder erlebt noch berichtet bekommen. Wenn, dann passiert schon eher was von einem deputy zu einem Gefangenen, aber dann muss es normalerweise auch schon weit kommen. Also bitte, an dieser Stelle gibt es keinen Anlass für Sorgen.» Ich hatte offenbar Glück. Dass die Situation in vielen amerikanischen Haftanstalten anders aussieht, zeigt eine neue Studie, die der US-Kongress in Auftrag gegeben hat: Sie belegt über 60 000 Fälle von sexueller Gewalt in amerikanischen Gefängnissen allein für das Jahr 2007.
Aber es gibt auch eine ganz andere Seite des Zusammenlebens im Knast, und die wurde mir im Broward County Jail bewusst: Erst durch die Solidarität und Fürsorge unter den Häftlingen wurde das Leben dort überhaupt erträglich.
Habib schenkte mir seine gute Lesebrille, als er Mitte Februar überraschend in eine andere Anstalt verlegt wurde. Meinen Zellengenossen fiel der Abschied richtig schwer. Wir waren in wenigen Wochen zu einer kleinen Schicksalsgemeinschaft zusammengewachsen.
Trotzdem wollte ich keinen Tag länger als nötig im Broward County Jail bleiben. Das FBI hatte inzwischen Kopien der Tonband- und Videoaufnahmen an Jeanne Baker herausgegeben. Um diese Mitschnitte und deren Übersetzungen genau auszuwerten und um endlich an die juristische Fachliteratur heranzukommen, die für meinen Fall relevant war, bemühte ich mich um Verlegung in eine Haftanstalt mit etwas besseren Arbeitsmöglichkeiten. Jeden Tag wartete ich darauf, dass meinem Antrag auf Verlegung ins Federal Detention Center (FDC) Miami zugestimmt würde.
8
Als Jan Jütting mich am 20. März 2006 im FDC Miami wiedersah, hat er mich zunächst nicht erkannt. Ich saß mit etwa zehn weiteren Insassen, die alle Besuch bekamen, auf einer langen Bank, quasi zur Abholung bereit. Jan Jütting aber erblickte in dieser Reihe niemanden, der auch nur entfernte Ähnlichkeit mit mir hatte.
Ich hatte 25 Kilo abgenommen. Meine Haare waren kurz geschnitten – zum ersten Mal seit Jahrzehnten –, mein Bart war ab. Meine Haut war aschfahl, ich war seit zwei Monaten nicht mehr an der frischen Luft oder gar an der Sonne gewesen, und das mitten im Frühling in Florida. Ich hatte tiefe Schatten unter den Augen, eine Folge des ständigen Schlafentzuges.
Erst als sich dieser schmale, blasse Mann, der ich damals war, von seinem Stuhl erhob und auf ihn zuging, dämmerte meinem Juniorpartner, um wen es sich handeln könnte. Und dann haben wir uns natürlich beide sehr gefreut.
Meine Verlegung ins Federal Detention Center (FDC) Miami lag damals schon vier Wochen zurück. Ich hatte ja seit einiger Zeit damit gerechnet und darauf gewartet, doch mein Umzug kam dann doch überraschend.
Sie begann mit dem Ausruf «Berkau to Court!», der am Dienstag, dem 21. Februar 2006, aus einem Lautsprecher von der Decke unserer Zelle auf mich herabschallte. Ich sollte zum Gericht? Was bedeutete das? Zunächst bedeutete es das übliche Ritual: In Handschellen wurde ich in die Arrestzelle gebracht. Bevor ich aus dem Gebäude treten konnte, wurden mir auch noch Fußfesseln angelegt. Eine Handvoll Gefangener stand, zum Transport aufgereiht, bereits auf dem Hof: unter ihnen meine beiden Mitangeklagten, Andreas B. und Gerhard W. Zum ersten Mal seit Wochen konnten wir ein paar Worte miteinander wechseln. «Wir werden verlegt, ins FDC Miami», erklärte mir Andreas. Man hatte die beiden zwar auch nicht früher informiert als mich. Aber immerhin waren sie geistesgegenwärtig genug gewesen, ein paar persönliche Sachen mitzunehmen: Sie hatten große braune Umschläge mit
Weitere Kostenlose Bücher