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Ich gegen Amerika: Ein deutscher Anwalt in den Fängen der US-Justiz (German Edition)

Ich gegen Amerika: Ein deutscher Anwalt in den Fängen der US-Justiz (German Edition)

Titel: Ich gegen Amerika: Ein deutscher Anwalt in den Fängen der US-Justiz (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Irene Stratenwerth , Reinhard Berkau
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ein solches System früher oder später danach streben muss, Gefangene «zu machen» und auch im Knast zu halten, diesen Zusammenhang begriff ich in Fort Lauderdale zum ersten Mal. Später hatte ich noch mehr Gelegenheit zu beobachten, wie dieser Mechanismus greift. Dabei neigt das System, wenn es erst einmal etabliert ist, offenbar dazu, sich zu verselbständigen und sogar seinen Betreibern selbst über den Kopf zu wachsen: Im Herbst 2006 forderte Ken Jenne öffentlich die Entlassung von nicht gewalttätigen Gefängnisinsassen, weil die Knäste im Broward County hoffnungslos aus allen Nähten platzten. Vielleicht ahnte er damals auch schon, dass er wenig später selbst in so einem überfüllten Gefängnis sitzen würde.
    Ken Jenne ist keineswegs ein besonders krasser Einzelfall. Die Verquickung von Justizsystem und privaten Profitinteressen treibt in den USA noch ganz andere Blüten. Im Januar 2009 ging der Fall des Sheriffs Greg Bartlett aus Alabama durch die amerikanischen Medien: Der Polizeichef und Gefängnisdirektor wurde für kurze Zeit inhaftiert, nachdem mehrere Insassen ihn beschuldigt hatten, dass er sie systematisch hungern ließ. Greg Bartlett standen 1   Dollar und 75 Cent pro Mann und Tag zur Verfügung, um seine Häftlinge zu ernähren – wahrlich nicht viel. Doch er schaffte es, davon noch etwas einzusparen und sich dieses Geld in die eigene Tasche zu stecken. Vollkommen legal, wie sich dann herausstellte: Das Gesetz von Alabama erlaubt dem Sheriff diese Art der persönlichen Bereicherung ausdrücklich. Trotz der erschütternden Berichte über Gefangene, die in wenigen Monaten regelrecht abgemagert waren, hatte sein Verhalten keine weiteren Konsequenzen: Bartlett wurde nach wenigen Tagen wieder aus der Haft entlassen und blieb im Amt, nachdem er dem Richter versprochen hatte, künftig den gesamten zur Verfügung stehenden Tagessatz für die Ernährung der Gefangenen auszugeben.
    Zum selben Zeitpunkt wurden in Pennsylvania zwei Richter wegen Korruption angeklagt. Mark A. Ciavarella jr. und Michael T. Conahan hatten innerhalb weniger Jahre insgesamt 5000 Jugendliche zu Gefängnisstrafen verurteilt und dafür Geld von Gefängnisbetreibern kassiert. Die meisten Angeklagten waren noch unter 18 und die Delikte, die man ihnen vorwarf, waren völlig lächerlich. So etwa der Fall einer 15-jährigen Schülerin, die auf ihrer myspace -Seite im Internet ihren stellvertretenden Schulleiter veralbert hatte: Zum Entsetzen ihrer Eltern wurde sie zu einer dreimonatigen Freiheitsstrafe verurteilt und in Handschellen aus dem Gerichtssaal abgeführt. Die Teenager wurden allesamt der Obhut von zwei Unternehmen anvertraut, die in Pennsylvania ein Monopol auf Anstalten und Camps zur «Besserung» straffälliger Jugendlicher hielten. Insgesamt 2,6 Millionen Dollar Schmiergelder sollen die Richter für ihre rigide Verurteilungspraxis kassiert haben, dafür also, dass sie junge Menschen aus der Schule herausrissen, sie einsperren ließen und ihnen die Zukunft verbauten.
    Conahan und Ciavarella stimmten einem plea agreement zu, in dem sie sich in einigen Punkten schuldig bekannten. Sie hatten danach eine Haftstrafe von sieben Jahren zu erwarten. Doch die Ermittlungen zogen weitere Kreise, und im Sommer 2009 war bereits ein knappes Dutzend weiterer Personen aus den Erziehungs- und Justizbehörden in Pennsylvania beschuldigt, sich an der Kriminalisierung junger Menschen persönlich bereichert zu haben. Das Gericht lehnte den plea bargain, den Conahan und Ciavarella bereits unterschrieben hatten, schließlich überraschend als «zu milde» ab, und ihr Fall wird nun vor einer Jury verhandelt.

    Vielleicht war es ganz gut, dass ich, während ich im Broward County Jail auf mein Strafmaß wartete, noch nicht so ganz genau wusste, zu welchen Auswüchsen dieses amerikanische Justizsystem fähig ist. «Was hier los ist, spottet jeder Beschreibung!», schrieb ich Mitte Juni an einen Freund in Hamburg, «das betrifft den Schuldspruch selbst wie auch den Strafvollzug … Die USA sind kein Rechtsstaat in unserem Sinne, die Fundamente dieses Systems stützen sich auf Willkür und Gewalt! Selbst das government geht davon aus, dass rund zwei Drittel der Jury-Sprüche falsch sind – und zwar in beide Richtungen, schuldig oder nicht schuldig. Ein älterer deputy (ein ziemlich konservativer Knochen!) mit dem ich Gelegenheit hatte, darüber zu sprechen, formulierte es so: Immer wenn du denkst, sie müssen den Angeklagten schuldigsprechen,

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