Ich gegen Amerika: Ein deutscher Anwalt in den Fängen der US-Justiz (German Edition)
mir beschränkte sich deshalb schließlich auf die Erhebung einiger biographischer Stationen und Finanzdaten.
Mein probation officer hatte an der Verhandlung gegen mich nicht teilgenommen, aber hatte jetzt die Aufgabe, alle wesentlichen Tatbestände noch einmal zusammenzustellen. Ihre wichtigste Informationsquelle war die Staatsanwaltschaft, und deren Schriftsätze schrieb sie denn auch zum Teil wortwörtlich ab. Das Absurde an diesem Vorgang war nur, dass die Staatsanwaltschaft wiederum die Darlegungen von Frau Gomez als weiteren «Beweis» für diese Taten in das sentencing einbrachte! «Es wird Dich vermutlich nicht wundern, wenn ich Dir erzähle, dass eine Lüge nach der anderen serviert worden ist (und mit Lüge meine ich vorsätzliche Mitteilung der Unwahrheit). Ich habe mich in diesem Verfahren manches Mal gefragt, ob das Government, also die Staatsanwaltschaft, nicht ganz genau weiß, dass wir unschuldig sind. Ich kann die Frage bis heute nicht sicher beantworten, das vorsätzliche Verbreiten von Unwahrheiten – Tatsachenbehauptungen der Anklage, deren Gegenteil sich in der Beweisaufnahme herausgestellt hat – deutet stark darauf hin. Warum tun die so was?», fragte ich mich in einem Brief an einen Freund.
Noch vor der mündlichen Verhandlung fassten Verteidigung und Ankläger ihre Sicht der Dinge schriftlich zusammen und tauschten Schriftsätze darüber aus. Jeanne Baker hatte dabei eine ausgesprochene Gratwanderung zu bewältigen: Sie hatte darum gekämpft, dass ich «nicht schuldig» gesprochen wurde. Und sollte jetzt dem Richter überzeugend darlegen, dass ich ein reuiger Täter war und bereit, nach einem einmaligen Ausrutscher künftig gesetzestreu zu leben.
Der Staatsanwalt Chris Clark ließ derweil nichts unversucht, mich in ein möglichst schlechtes Licht zu rücken. In seiner Stellungnahme zum Strafmaß war plötzlich vom Verdacht der Geldwäsche die Rede, ein Vorwurf, zu dem es nicht einmal ein Ermittlungsverfahren gegeben hatte. Außerdem legte Chris Clark Informationen vor, die er auf einem Umweg vom Bundeskriminalamt bekommen hatte – Daten, deren Weitergabe illegal ist. Das BKA hatte die Hamburger Staatsanwaltschaft über zwei Ermittlungsverfahren gegen mich informiert, die längst eingestellt waren; und diese hatte die Auskünfte wiederum an ihre amerikanischen Kollegen weitergegeben. In dem einen Fall handelte es sich um die angebliche Fahrerflucht eines meiner Kinder, im anderen um die Strafsache eines Mandanten, in der für kurze Zeit auch gegen mich ermittelt worden war. Mit diesem «Vorstrafenregister» wollte Chris Clark also den Eindruck erwecken, dass ich eben doch keine blütenweiße Weste hatte. Und wenn Jan Jütting und meine Töchter nicht noch einen Tag vor dem sentencing Stellungnahmen von Anwälten und Richtern aufgetrieben hätten, die meine Unschuld belegten, wäre ihm das wohl auch gelungen.
Ein zweiter wichtiger Bestandteil unserer Argumentation waren die sogenannten character references . Auch hier liefen meine Kinder und mein gesamtes soziales Umfeld noch einmal zu Hochform auf. Es ging darum, persönliche Statements von Menschen vorzulegen, die in meinem bisherigen Leben mit mir zu tun gehabt hatten und etwas darüber sagen konnten, ob ich ein guter Kerl war oder auch nicht. Etwas Vergleichbares gibt es im deutschen Recht nicht. Aber Leute, die bereit waren, mir eine solche Referenz zu schreiben, gab es in meinem Umfeld genug: Angehörige, Freunde, Angestellte, Mieter, Nachbarn, Kollegen und Vertreter verschiedener Hamburger Institutionen, mit denen ich beruflich zu tun hatte. Jeanne Baker packte dem Richter einen dicken Stapel mit rund 50 Schreiben auf den Tisch, die bezeugten, wie sehr ich als Anwalt, Vermieter und Familienvater in meinem Beruf und meinem Stadtteil verwurzelt und geachtet war.
All das zusammengenommen ergab unsere Argumentation für eine downward departure. Was sich anhört wie der Titel eines amerikanischen Roadmovies, bedeutet etwa so viel wie eine Abwärtsbewegung in der Festlegung der Strafmaßrichtlinien. In meinem Fall war nach Ansicht des probation officer eine Strafe zwischen 63 und 78 Monaten angemessen. Chris Clark wollte so viel wie möglich, nämlich 78 Monate. Er hatte im Vorfeld des PSI-Report sogar versucht, das Strafmaß noch um weitere 12 Monate zu erhöhen – mit der Begründung, dass ich Anwalt sei und deshalb besonderen Anforderungen an mein Rechtsempfinden genügen müsste. Damit allerdings war Frau Gomez nicht
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