Ich gegen Amerika: Ein deutscher Anwalt in den Fängen der US-Justiz (German Edition)
ist.
Dass die Verhältnisse in Anstalten, die vom Staat betrieben werden, nicht unbedingt besser sein müssen, zeigt auch das Beispiel des Broward County Jail unter dem Management von Sheriff Ken Jennes BSO (Broward Sheriff’s Office) . Dennoch geschieht mit der Übernahme von immer mehr Haftplätzen durch private Betreiber etwas grundsätzlich und qualitativ Neues: Der Staat zieht sich aus der Kontrolle über diese Einrichtungen zurück. «Die Insassen in Pecos wurden, formal gesehen, durch die amerikanische Bundesregierung in Haft genommen, aber faktisch sind sie Gefangene von privaten Unternehmen, die vom Staat wenig bis gar nicht kontrolliert werden», schreibt Tom Barry. In den komplizierten Verträgen – oder auch Verflechtungen – zwischen County, Bureau of Prisons und privaten Betreibern ist die Verantwortung für das Wohlergehen der Gefangenen oft nicht einmal mehr klar geregelt.
Es könnte fast so aussehen, als sei mit der mass incarceration , wie amerikanische Justizkritiker dieses Experiment nennen, dennoch allen – bis auf den Gefangenen selbst – gedient: Der Staat gibt öffentliche Aufgaben in kostengünstigere private Hände ab, die Gesellschaft profitiert von zusätzlichen Arbeitsplätzen, und die Betreiber der Gefängnisindustrie freuen sich über wachsende Gewinne. Im kleinen Maßstab lässt sich ohne weiteres nachvollziehen, wie der Glauben an diesen Mechanismus greift: Wenn eine Kleinstadt unter großen finanziellen Anstrengungen erst mal zur prison town geworden ist, können sich auch die dort tätigen Ordnungshüter und Richter nicht der Anforderung entziehen, diese Anstalt nun wirklich zu füllen – und sei es etwa durch hohe Strafen für illegale Zuwanderer. Im großen Maßstab sind, angesichts zahlreicher ineinander verschachtelter Unternehmen und ihrer Lobbyisten, die Zusammenhänge zwischen politischen, justiziellen und wirtschaftlichen Entscheidungsträgern nicht so leicht transparent zu machen, aber umso wirksamer.
Public money to private hands – der Transfer von öffentlichem Geld in private Hände – so lautet die simple Erfolgsformel der Gefängnisindustrie. Doch wie auch andere kühne Träume, die an der Wall Street immer wieder wie eine Blase zerplatzen, stoßen ökonomische Projekte zwangsläufig an Grenzen, wenn sie mit keinerlei Wertschöpfung verbunden sind. Denn das Geld, das im gefängnisindustriellen Komplex verbrannt wird, stammt aus einer einzigen Quelle: den Taschen der Steuerzahler.
185 Milliarden US-Dollar kostet das amerikanische Strafjustizsystem jedes Jahr, so rechneten es Tara Herivel und Paul Wright in ihrem Buch «Prison Profiteers» vor: Das sind allein die Kosten für Polizei, Kriminaljustiz und Haftanstalten (Stand: 2003). Die Beträge, die durch die Errichtung und den baulichen Unterhalt von Gefängnissen verschlungen werden, sind dabei noch genauso wenig erfasst wie viele andere versteckte Ausgaben, etwa die Altersrenten für ehemalige Polizisten oder Vollzugsbedienstete. Verwendet man dieselben Quellen wie Herivel und Wright – die Zahlen, die das amerikanische Bureau of Justice Statistics vorlegt –, so sind diese Kosten bis 2006 auf 215 Milliarden (in Zahlen: 215 000 000 000) US-Dollar gestiegen. Umgerechnet auf die Gefangenenzahlen von 2006 ergibt sich ein Betrag von 265 US-Dollar, die jeder Gefängnisinsasse pro Tag kostet. Aktuellere Zahlen sind bislang nicht publiziert.
Dieses Geld muss von den amerikanischen Steuerzahlern aufgebracht werden. Legt man das durchschnittliche Einkommen einer amerikanischen Familie von 43 000 Dollar pro Jahr zugrunde, bedeutet das: Das gesamte Einkommen von fünf Millionen Familien, beziehungsweise etwa 20 Millionen Männern, Frauen und Kindern, muss aufgewendet werden, um die Kosten der Strafverfolgung und -vollstreckung in den USA zu decken. Wie lange wird es eine schwindende Zahl von werktätigen Menschen noch leisten können, diese Mittel aufzubringen? Wie lange werden Amerikas Steuerpflichtige noch dafür bezahlen können, dass ein wachsender Teil der Bevölkerung damit beschäftigt wird, einen anderen, immer weiterwachsenden Teil von ihr einzusperren und zu bewachen?
In Kalifornien scheint der kritische Punkt bereits erreicht. Dort wurden, so berichtet Angela Davis, allein zwischen 1984 und 1989 neun Gefängnisse gebaut – genauso viele wie in den über hundert Jahren zwischen 1852 und 1955. Heute gibt es an die 150 Haftanstalten in diesem Bundesstaat, errichtet vorzugsweise in
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