Ich gegen Amerika: Ein deutscher Anwalt in den Fängen der US-Justiz (German Edition)
auf «Anraten» der Unternehmensgruppe CEC/Civigenics errichtet worden war, zwei Jahre nach ihrer Fertigstellung komplett leer. Die Stadtväter der 3500-Einwohner-Gemeinde haben sich deshalb darum beworben, die Gefangenen aus Guantánamo Bay nach Hardin zu holen. Den Zuschlag aber bekam dann der Bundesstaat Illinois, der 120 Millionen Dollar in sein Thomson Correctional Center investierte, ein 1600-Betten-Gefängnis, das seit seiner Errichtung im Jahre 2001 nur minimal belegt war.
«Das Mantra aller offiziellen Vertreter der prison towns lautet: ‹Wenn du ein Gefängnis baust, werden die Gefangenen kommen›», schreibt Tom Barry. Und wenn man sie im eigenen Land nicht mehr findet, holt man sie sich eben aus dem Ausland. Menschen, die auf der Suche nach Arbeit und Einkommen mehr oder weniger legal über die Grenzen kommen, waren als billige Hilfskräfte in den USA jahrzehntelang gerne gesehen. Heute tragen sie auf andere Weise zum Wohlstand einiger bei – indem sie zu Insassen privat betriebener Gefängnisse werden.
Die Handvoll Europäer in der CI Reeves, zu denen ich gehörte, sind nur eine lächerliche Randerscheinung in diesem gigantischen Geschäft. Ein Kollateralschaden, nicht unbedingt gewollt, aber auch nicht zu vermeiden, wenn die gesamte Justizmaschinerie wie geschmiert einem einzigen Ziel dient: immer mehr Gefangene zu machen.
Die 26 Insassen, die wegen der Teilnahme am Aufstand nach Jesus Manuel Galindos Tod angeklagt wurden, bleiben jedenfalls noch für ein weiteres Jahr in der Correctional Institution Reeves. Nachdem sie sich zunächst geweigert hatten, einem plea bargain zuzustimmen, drohte ihnen die Staatsanwaltschaft mit einer Haftstrafe von zehn Jahren wegen «Brandstiftung im Zusammenhang einer Straftat gegen Bundesgesetze» an. Danach erklärten sich alle 26 Angeklagten bereit, ein guilty plea zu unterzeichnen.
Der zweite Aufstand, im Februar 2009 – der ausbrach, nachdem erneut ein kranker Gefangener in den SHU gesperrt wurde –, hatte noch dramatischere Folgen: Ein Teil der Anstalt brannte komplett aus. Die Wiedererrichtung wird 40 Millionen US-Dollar kosten. 25 Millionen zahlt die Versicherung, den Rest muss das gebeutelte County aufbringen, das sich für die Errichtung von Gefängnisbauten schon jetzt mit 92 Millionen Dollar komplett verschuldet hat. Aber in Pecos geht die Angst um: die Angst, dass das Bureau of Prisons seine Gefangenen aus Reeves abziehen und eine gigantische Investitionsruine und 400 arbeitslose Gefängnisbedienstete zurücklassen könnte.
Auch die Teilnehmer des zweiten Aufstandes werden teuer für ihren Protest bezahlen: Über 100 Gefangene sind inzwischen vom Staatsanwalt angeklagt.
Die Gefängnisindustrie als Wirtschaftsfaktor oder: Public money to private hands
«Eine Gesellschaft ohne Gefängnisse? Der gefängnisindustrielle Komplex in den USA», so lautet der Titel eines Buches, das zunächst in den USA, 2004 dann auch in Deutschland erschien. Letzteres lag vermutlich an seiner prominenten Autorin: Angela Davis ist vielen noch aus den siebziger Jahren als Symbolfigur einer weltweiten Protestbewegung gegen den Rassismus bekannt. Das Thema, mit dem sie sich heute befasst – der prison industrial complex –, wurde in Deutschland hingegen bislang kaum wahrgenommen.
Angela Davis war 1970 verhaftet und vom FBI auf die Liste der zehn gefährlichsten Verbrecher der Welt gesetzt worden. Die Anklage: Eine Waffe, die beim blutigen Versuch einer Gefangenenbefreiung verwendet wurde, sei auf ihren Namen gekauft worden. Nach zwei Jahren im Gefängnis und einer Solidaritätskampagne, die um die ganze Welt ging, wurde die radikale Sozialistin und Feministin 1972 in allen Punkten freigesprochen. Heute ist Angela Davis Professorin für Mentalitätsgeschichte an der University of California in Santa Cruz – und eine der profiliertesten Kritikerinnen des amerikanischen Gefängnissystems.
Doch beim «gefängnisindustriellen Komplex» handelt es sich keineswegs um einen Begriff, der von radikalen Gesellschaftskritikern geprägt wurde. Er tauchte zum ersten Mal im «Wall Street Journal» auf, und das bereits 1994: Wirtschaftsjournalisten entdeckten und proklamierten damals die rasch wachsende Bedeutung eines damals noch jungen Unternehmensfeldes. Das Verfolgen, Einfangen und Einsperren von Menschen war von einer staatlichen Ordnungsfunktion zu einem ökonomischen Projekt geworden. Heute prägt diese Branche das wirtschaftliche Leben in den USA wie kaum eine
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