Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Ich gegen Amerika: Ein deutscher Anwalt in den Fängen der US-Justiz (German Edition)

Ich gegen Amerika: Ein deutscher Anwalt in den Fängen der US-Justiz (German Edition)

Titel: Ich gegen Amerika: Ein deutscher Anwalt in den Fängen der US-Justiz (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Irene Stratenwerth , Reinhard Berkau
Vom Netzwerk:
Kugelschreiber bekam. Ein verschwitzter Kurstermin konnte den Rausschmiss aus der Fortbildung nach sich ziehen, eine zu spät zurückgegebene Gitarre eine Ausleihsperre für 14 Tage. Und wenn ich meine Brille in der Zelle liegenließ, konnte ich nicht mal eben zurücklaufen, um sie zu holen. Dass ich nicht mehr in der Lage war, solchen Problemen aus dem Weg zu gehen, beunruhigte mich.
    Was ich dann aber wirklich schlimm fand: Ich vergaß sogar den Geburtstag meines Sohnes, obwohl ich genau an diesem Tag mit ihm telefonierte. Als er mich vorsichtig darauf ansprach, war ich schockiert und erleichtert zugleich. Denn plötzlich war mir klar: Irgendwas war nicht okay mit mir. Sofort nach dem Telefongespräch setzte ich mich hin und schrieb ihm einen Brief.
    «Tja, Jonathan, so wirklich gut geht es mir gerade nicht», stellte ich darin fest. Zum ersten Mal seit fast anderthalb Jahren erlaubte ich mir selbst einen solchen Satz. Und fügte schnell hinzu: «Nun weiß ich aber, dass sich dieser Zustand ändern wird. Sollte die Überstellung abgelehnt werden, wäre das sehr ärgerlich, und ich werde mich damit auch ärgerlich fühlen. Aber meine Anspannung wird weg sein, und ich werde die Ärmel aufkrempeln. So müssen dann eben ohne Rücksicht auf Verluste alle Register sortiert werden, die evtl. noch gezogen werden können. Das wird einige Arbeit bedeuten – und letztlich nur eine geringe Aussicht auf Erfolg haben. Dennoch, ich werde nichts unversucht lassen!»

    Es war eine eigentümliche Mischung von Wachsamkeit und Ruhe, die mir hier, in der Abgeschiedenheit der texanischen Wüste, abverlangt wurde. Zum Glück war ich nicht allein: Zu meinem engsten Weggefährten in dieser Warteschleife wurde Harry de Loos aus den Niederlanden, ein Autohändler, dem man noch übler mitgespielt hatte als mir. Auch ihn hatte ein Konflikt mit Geschäftspartnern im November 2005 in den Knast gebracht: Ein Kunde wollte von einem Kaufvertrag zurücktreten, obwohl die von ihm bestellten Autos schon in den USA angekommen waren. Und er wollte seine Anzahlung zurückhaben. Das lehnte Harry ab. Noch bevor die Auseinandersetzung abgeschlossen war, wurde er völlig überraschend verhaftet. Die Anklage: money laundering und fraud (Betrug). Es drohte eine Höchststrafe von 30 Jahren. Wenn er einen plea bargain und einer Strafe von 37 Monaten zustimme, so versprach ihm sein Richter, sei er «as prompt as possible» wieder zu Hause, in Holland. Sein Vermögen, zehn Autos und eine Wohnung im Wert von rund 720   000 US-Dollar wurden beschlagnahmt – aber nicht etwa, um den Kunden auszuzahlen. Es wanderte in die Bestände des amerikanischen Staates. Aber Harry kam nicht nach Hause. Er hatte eine ähnliche Odyssee hinter sich wie ich. Nur mit dem Unterschied, dass er bei jeder Verlegung dachte, nun könne seine Heimreise beginnen. Einen Antrag auf treaty transfer konnte er nämlich nur aus einer Strafvollstreckungsanstalt, einer correctional institution, heraus stellen. Doch seitdem er seinen plea bargain abgeschlossen hatte, hatte man ihn von einem holdover zum nächsten detention center herumgereicht, bis er endlich in der CI Reeves in Pecos ankam. Mit Harry drehte ich jeden Tag meine Runden um den recreation yard , oft erst gegen Abend, wenn die Temperaturen halbwegs erträglich wurden.
    Alle Ansinnen von Freunden und Familienangehörigen, mich hier in Pecos zu besuchen, wehrte ich ab. Ich ging ja davon aus, dass ich bald in Hamburg zurück wäre. Die Mühen und Kosten einer Reise nach Texas schienen mir übertrieben. Außerdem war mir nie ganz wohl bei der Sache, wenn einer meiner Angehörigen in den USA unterwegs war. Ich wusste schließlich, was einem in diesem Land passieren konnte.

    Mein Freund Harry, ein neu aufgelegtes Diätvorhaben, lange Briefe und Telefongespräche und viele Stunden, die ich jeden Tag mit einer Gitarre verbrachte – das war für ein paar Monate mein Leben in Pecos. Und seltsamerweise wurde mir bewusst, dass diese Zeit trotz allem ihre eigene Qualität hatte. Fast wütend wehrte ich die guten Wünsche von Freunden ab, ich möge die «Wartezeit» gut überstehen. Diese Zeit, so schrieb ich zurück, habe für mich ihren besonderen Wert: «Es ist eine Zeit, in der ich etwas anderes machen muss, als ich es bisher getan habe. Das wiederum eröffnet Chancen und Möglichkeiten, man muss sie allerdings auch nutzen.»
    In einem anderen Brief beschrieb ich meine musikalischen Fortschritte: «Stell Dir vor, Du fährst mit Deinem Auto

Weitere Kostenlose Bücher