Ich gegen Osborne
kamen mir Gedanken wie: »Das ist die Straßenkreuzung, an der Chloe über Johnny Depp geredet hat«, oder: »Chloe sagte, dass ihr der Kassierer in diesem Supermarkt irgendwie nicht geheuer war.« Manchmal betrachtete ich den Sitz, auf dem sie einmal als meine Beifahrerin gesessen hatte, strich mit der Hand über die Polsterung und fragte mich: »War sie wirklich da?« Ähnlich legte sich über die Bibliothek und den Wal-Mart eine dicke Schicht aus Nostalgie, ja sogar Trauer – und das wegen Ereignissen, die keine zwei Monate alt waren.
Und Hamilton Sweeney vögelte sie, als wäre es gar nichts.
Daran dachte ich gerade, als die Klinge meines Schabers in der Mitte zerbrach; ich hatte zu fest gedrückt, als mir die Galle überlief.
Schließlich bekamen wir für unser Projekt eine Eins. Ich zeichnete ein Kätzchen, das sich gerade in den Schauspieler John Stamos verwandelte, und Chloe zeichnete eine [392] menschliche Löwenzahnblüte. Später sagte uns Mr. Ottman, unsere Präsentation sei die mit Abstand beste des Kurses gewesen.
14 . 51 Ich stand gerade am Schrank und kramte geräuschvoll in einem Behälter mit Schabern, als meine Mitschüler im Kursraum nach vorn stürmten. Die Getränke waren da. Während die meisten Schüler sich auf den Karton stürzten und sich die Getränke schnappten, die er gerade gebracht hatte, kam Timothy zu mir und stellte sich so hin, dass wir beide teilweise von der hohen Schranktür verdeckt wurden.
»Ich muss dringend mit dir reden«, sagte er so leise, wie dies sein monotoner Bass zuließ.
»Na schön. Hier bin ich.«
»Nach einem wie dir habe ich gesucht.«
»Oh. Herrje.«
»Was du getan hast, hat mich begeistert. Du hast ihr System demontiert. Es war ein Akt der Zerstörung, und das bewundere ich. Ich will aber noch einen Schritt weitergehen. Sie haben Schlimmeres verdient als das, was du gemacht hast. Ich habe schon seit einiger Zeit eine Idee, aber für eine solche Mission sind zwei Personen erforderlich.«
Ich war perplex. Noch nie hatte ich ihn so viel sprechen hören.
»Was genau schwebt dir denn vor?«
Er schaute hinter dem Schrank hervor und sah sich um. Unsere Cola schlürfenden Mitschüler ließen sich wieder auf ihren Plätzen nieder.
»Hier kann ich nicht darüber reden. Gibst du mir deine Telefonnummer?«
[393] »Äh, ich weiß zwar nicht, was du vorhast, es klingt aber nicht so –«
»Pst!« Er sah, dass Tommy auf uns zukam, und eilte an unseren Tisch zurück.
»Was wäre, wenn es einen Typ gäbe, der Knoblauchbutter pinkelt«, sagte Tommy, eine Dose Mountain Dew in der Hand, »und deshalb einen Job bei Red Lobster bekäme, wo er in die Scampi pullern müsste?«
Ich sah ihn an, und mein Blick sagte: »Hä?«
»Hältst du den für einen echten Brüller?«
»Ich weiß nicht so recht.«
»Ich hab einen ganzen Sketch mit Knoblauchbutter.«
»Das an sich ist schon ziemlich lustig. Ich müsste aber die ganze Geschichte hören.«
Während Tommy schier endlos von Knoblauchbutter erzählte, fand ich eine Schabeklinge in der richtigen Größe. Da ich nicht bei Chloe sitzen wollte, setzte ich mich an Tommys Tisch zu dem Redneck und einem leise sprechenden Goth-Mädchen. Tommys Traum war es, Stand-up-Comedian zu werden, und er gab immer testweise seine Nummern zum Besten.
»Komisch ist es«, sagte ich über seine Knoblauchbutternummer, »aber nicht dein stärkstes Material. Vielleicht könntest du es irgendwie in der Mitte deines Auftritts einbauen.«
Er nickte und schabte weiter an einem vollbusigen Alien, der im Kentucky Lake angelte. Erstaunlicherweise hatte Tommy bei jeder einzelnen Aufgabe in diesem Kurs einen Alien gezeichnet. Während im Hintergrund Olivia Newton-Johns Please, Mister, Please im Radio lief, setzte ich [394] meine Arbeit fort und sah dabei immer mal wieder zu Timothy hinüber, der nicht zurückschaute, sondern von seinem Kunstwerk hypnotisiert zu sein schien. Ich wollte nicht, dass dieser Typ mich anrief. Außerdem behielt ich Chloe im Auge, die aussah, als würde sie jeden Moment Tränen vergießen, was mich wütend machte. Obwohl ich ohnehin schon vermutet hatte, dass sie sich für Sweeney entscheiden würde, war ich immer noch empört. Wie konnte sie es wagen, nicht mich zu wählen! Zwei Tage nachdem ich meinen Vater zu Grabe getragen hatte! Ich dachte, ich hätte meine Belastungsgrenze in Englisch erreicht, spürte aber, wie ich mich wieder bis zum Siedepunkt erregte, mir am liebsten mein eigenes Kinn abgebissen
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