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Ich gegen Osborne

Ich gegen Osborne

Titel: Ich gegen Osborne Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joey Goebel
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Hirn aus der Gosse erhob. Was Chloe und all die anderen betraf, so stellte ich mir vor, wie ich ihren Tanzclub zu einem klebrigen Bällchen zerknüllte und ins Klo schmiss.
    [54]  Als es klingelte, trudelte der letzte meiner Mitschüler ein. Hier hatte ich keinen, mit dem ich reden konnte, was höchst angenehm war, da niemand mit mir reden wollte. Was ihnen gefiel, gefiel mir nicht. Vermutlich wusste nicht einer von ihnen, wer Woody Allen war. Der Chemiekurs bestand in meinen Augen aus Deppen, die nur an Pizza dachten, und smart-adretten, leicht arroganten Typen. Was hielten sie wohl von mir? Aus irgendeinem Grund vermutete ich, dass sie mich ablehnten. Doch das war inzwischen unwichtig, weil ich mich soeben dem ganzen menschlichen Treiben entzogen hatte. Jeder besaß diese alles verschlingenden Öffnungen, schwarze Löcher, mit denen sie sich wechselseitig aufsogen, und ich war der einzige Mensch, der sich frei bewegen konnte, unbeeinflusst von ihrer Schwerkraft.
    Klar, mir stand eine Schlacht bevor. Es verging keine Minute, ohne dass die Große Dumme Rumhurerei mich mit ihren langen Beinen umschlingen wollte. Die Ausbeute von heute Morgen, noch vor Schulbeginn: Auf der Homepage von Yahoo! quollen mir Dekolletees aus einer Unterwäschewerbung entgegen (oder war es ein Film?); in einer E-Mail fand sich die obszöne Nachricht eines oder einer Fremden, in der mir Sex angeboten wurde, falls ich seine oder ihre Website aufsuchte; im Radio sang eine Gruppe, sie wolle meinen Körper und ich solle ihren Körper haben. Am Vorabend fand ich die Körper praktischerweise in einer Sendung aufgelistet, die sich »Die 101 sexiesten Prominenten« nannte. Dann sah ich die Wiederholung von The Real World, in der ein Paar gestand, mit dem Geschlechtsverkehr begonnen zu haben, ohne es zu merken.
    Ich sah es mir an, ich konnte nicht anders.
    [55]  8 . 27   In meiner neuen Abgeklärtheit hörte ich einige von ihnen über den Abschlussball reden. Für mich als Asexuellen wäre es kaum sinnvoll, daran teilzunehmen. Nicht dass ich je erwogen hätte, bei etwas so Banalem mitzumachen. Doch jetzt stand ich über alledem: den beschlagenen Autofenstern, den schmierigen Hotelzimmern, den Partyorgien. Ich war stolz darauf, dass es am ersten Mai weder Hairspray auf meinem Kopf noch einen Flachmann in meinem Jackett geben würde, weder ein Kondom in meinem Portemonnaie noch eine Hasenpfote mehr in meiner Hose. Am Ende der Ballnacht, wenn der Hausmeister die Körpersäfte vom Basketballplatz wischte, würde ich zufrieden zu Hause sitzen und mich tippenderweise auf meine Bestimmung zubewegen.
    Und ja, falls Chloe diese Angelegenheit in Panama City hinreichend erklären konnte – falls sie bewies, dass es sich nur um ein Gerücht handelte – und falls sie darauf bestünde, dass ich sie begleitete, könnte ich vermutlich eine Ausnahme machen. Ein Asexueller tat Menschen in Notlagen einen solchen Gefallen.
    8 . 28   Während ich für einen Test in der vierten Stunde noch ein paar deutsche Vokabeln durchging, verspürte ich plötzlich das Bedürfnis, meine neue Orientierung laut kundzutun, als wäre sie erst nach dem Aussprechen offiziell. Timothy Gregory musste genügen. In meinem Kunstkurs in der sechsten Stunde saß ich mit ihm an einem Tisch, kannte ihn aber kaum. Er war der ruhigste Mensch, der mir je begegnet war, und ich wusste seine Ruhe zu schätzen. Je nach Lage der Dinge war auch ich manchmal ruhig. Ich nannte [56]  mich »umgebungsabhängig introvertiert«. In diesem Kurs sagte ich beispielsweise selten ein Wort. In dem Kurs danach redete ich mehr als jeder andere.
    An manchen Tagen betrat Ms. Calaway die Klasse ein paar Minuten nach dem Klingeln, weil sie etwas mehr Zeit brauchte, um ihren Nikotindämon ruhigzustellen. Heute war so ein Tag. Daher blieb mir noch Zeit, Timothy meine neue Lebensführung zu erläutern, der gerade irgendwas auf die Sohlen seiner schwarzen Doc Martens schrieb. Er hatte eine höchst bedauerliche Frisur, mit der sein Kopf einem Arsch ähnelte, und seine Akne war besonders übel, doch dem Gesicht darunter sah man an, dass es eines Tages gut aussehen würde. Er war häufig gemobbt worden und wirkte wie jemand, der alles dafür tat, bloß nicht aufzufallen.
    »Wie geht’s dir denn heute, Timothy?«
    »Gut.«
    Normalerweise wäre ich irritiert gewesen, von jemandem nicht nach meinem Befinden gefragt zu werden, nachdem ich mir die Mühe gemacht hatte, ihn nach seinem zu fragen, doch Timothy lag schon im Soll,

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