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Ich gegen Osborne

Ich gegen Osborne

Titel: Ich gegen Osborne Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joey Goebel
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soll ich… Die Leute reden über dich.«
    »Was reden sie über mich?«
    »Viel. Ich möchte es lieber nicht wiederholen.«
    Sie sagte gar nichts. Ich sah sie an und fragte mich, ob sie die Brille aufgehabt hatte, als sie es mit all den Jungs trieb.
    »Bitte, Chloe. Sprich mit mir.«
    »Was willst du von mir hören?«
    »Ist es wahr?«
    »Nein.«
    »Woher stammen dann die vielen Gerüchte?«
    »Ich weiß es nicht.«
    Sie sagte möglichst wenig und zwang mich, das Reden zu übernehmen. Mir war aufgefallen, dass Mädchen gern diese Taktik benutzten. Diesmal beschloss ich, nicht in die Falle zu gehen, und sagte: »Verzeih die Störung.« Ich holte mein Exemplar des Romanauszugs heraus und ging ihn nochmal durch. Aus den Augenwinkeln sah ich, dass sich Chloe nicht wieder mit ihrer Arbeit beschäftigte.
    [102]  »Falls etwas davon zuträfe«, sagte sie schnippisch, »hättest du kein Recht, mir ein schlechtes Gewissen einzureden.«
    »Ich hätte zwar kein Recht, dir ein schlechtes Gewissen einzureden, aber wenn es wahr wäre, hätte ich doch zumindest das Recht, dich danach zu fragen, oder nicht?«
    » Warum? Warum ginge es dich etwas an?«
    Unfassbar, dachte ich. Plötzlich sahen ihre langen braunen Locken wie Schlangen aus. »Weil du mich immer wieder hast glauben lassen, dass du die Absicht hattest, eine Liebesbeziehung mit mir einzugehen.«
    Ohne zu zögern, entgegnete sie: »Es tut mir leid, wenn du diesen Eindruck gewonnen hast, aber ich dachte immer, wir wären nur Freunde.«
    Meine leeren Eingeweide füllten sich mit schäumender Säure. »Aber ja. Nur Freunde. Na klar. Freunde, die jeden Abend miteinander telefonieren. Was soll der Scheiß, Chloe?! Wenn wir nur Freunde wären, warum wurdest du dann jedes Mal eifersüchtig, wenn ich ein anderes Mädchen erwähnt habe?«
    »Tut mir leid.«
    »Was tut dir leid?« Sie atmete tief durch, rückte ihre Brille zurecht und widmete sich wieder ihrer Arbeit. »Erkennst du denn nicht, weshalb ich den Eindruck hatte, dass dein Interesse an mir nicht rein platonisch war?«
    »Tut mir leid. Ich werde dich nicht mehr anrufen.«
    »Du hättest sowieso aufgehört.«
    »Nein, hätte ich nicht.«
    Offenbar hatte ich wieder an meinem Daumen gepult, denn der blutete schlimmer als zuvor. Ich versteckte ihn in [103]  meinem schon blutigen Taschentuch. Auch hatte ich nicht bemerkt, dass die meisten anderen Kursteilnehmer ihre Sitzplätze in dem Kreis aus Pulten eingenommen hatten. Neben mir saß ein schwarzgekleideter Wicca, den ich bewunderte, weil er sich so völlig einer Sache verschrieben hatte, dass er dafür nur Hohn und Spott ernten konnte. Man wurde kein Wicca, um seinen gesellschaftlichen Status zu verbessern.
    Ich beugte mich Richtung Chloe und sagte leise: »Ich hatte Recht mit den Schuhen, stimmt’s? Du hast dich verändert.«
    »Nein, hab ich nicht.«
    »Warum sagen die Leute dann solche Sachen? Willst du behaupten, nichts davon ist wahr?«
    Als es klingelte, betrat Slim den Raum, allerdings gingen alle Gespräche weiter, weil es Slim nicht störte. Chloe wandte sich mir zu und sagte mitleidig: »Verstehst du denn nicht? In unserem Alter gibt es nichts Schlimmeres, als dass die Leute einen für ein braves Mädchen halten.«

[104]  Kreatives Schreiben
    9.28 Auch wenn ich mir nicht sicher war, ob sie damit indirekt zugab, dass die Gerüchte stimmten, ließ sich aus unserem Gespräch zumindest eine Erkenntnis ableiten: Es würde weder einen James für Chloe noch eine Chloe für James geben. Das hätte nicht klarer sein können, selbst wenn es auf meine Drüsen gestempelt worden wäre. Sie dachte, wir wären nur Freunde. Für uns beide würde es kein Abholen abends um sieben, keinen Tisch für zwei, keinen romantischen Höhepunkt geben. Ich würde sie nie berühren. Ich musste akzeptieren, dass das einzige weibliche Wesen, das die Schicksalsgöttinnen mir zugestanden, jene imaginäre Muse war, die mich zum Schreiben inspirierte. Was wir gemeinsam zustande gebracht hatten, würde innerhalb der nächsten Stunde seine erste öffentliche Einschätzung erfahren.
    Vor Kursbeginn kam immer jemand an Slims Pult, um ihn wegen irgendwas zu nerven. Heute war Lauren Mellor an der Reihe, die mit dem schulterlangen blonden Haar und einer nach oben gerichteten Schweineschnauze – Lauren, die ständig den Brustkorb vorstreckte, und deren Eltern nicht nur Chirurgen waren, sondern die sich auch so aufführte, als wären ihre Eltern Chirurgen. Sie war nicht nur Favoritin für die Wahl zur

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