Ich gegen Osborne
auf meine verschränkten Arme. Gegen den Lärm konnte ich nichts machen, doch wenigstens wurden die Bilder allmählich dunkel.
11 . 14 Ich war ein spätgeborenes Kind.
Als meine Mutter mich zur Welt brachte, war sie 44, und mein Vater war 53. Auch sie waren Spätgeborene, daher starben meine beiden Großväter noch vor meiner Geburt. Was meine Großmütter angeht, so starb eine, als ich drei, die andere, als ich fünfzehn war. Weil die meisten meiner Verwandten ältere Menschen waren, spielte sich ein Großteil meiner Kindheitserinnerungen in Krankenhäusern, Pflegeheimen und Bestattungsinstituten ab.
Einmal fragte ich meine Mutter: »Warum habt ihr mich immer dorthin mitgenommen? Warum hast du mich nicht bei Tante Faye gelassen oder einen Babysitter geholt?« Sie antwortete: »Wir haben dich dorthin mitgenommen, weil wir es nicht ertrugen, auch nur eine Minute länger als nötig von dir getrennt zu sein.« Wohin auch immer Charles und Julia Weinbach gingen, der kleine James ging mit. Ich war [190] ihr Prinz. Nach meiner Geburt kamen sie wohl nie mehr auf die Idee, zu zweit auszugehen, und wenn sie einmal ein schickes Restaurant aufsuchten, saß ich neben ihnen im Kerzenlicht, vor mir eine Tüte von McDonald’s. Sie nahmen mich zu Ereignissen mit, die ein Kind unmöglich würdigen konnte; mit sieben war ich der wohl jüngste Zuhörer, als Frank Sinatra im Louisville Gardens auftrat.
Vielleicht behielten sie mich immer in ihrer Nähe, weil es ihnen so schwergefallen war, mich überhaupt erst auf die Welt zu holen, als hätte meine Seele in einem anderen Gefilde gesagt: »Schleift mich da nicht hin.« Bevor ich eintraf, hatte es acht Jahre Versuche und zwei Fehlgeburten gegeben. Selbst als meine Mom bereits mit mir schwanger war, rieten ihr nicht ein Arzt, sondern zwei Ärzte, wegen ihres hohen Blutzuckers, hohen Blutdrucks und hohen Alters (damals waren ältere Mütter noch nicht so verbreitet) die Sache zu beenden. Doch ich war ein gesundes Baby und hatte eine glückliche Kindheit. Sogar die häufigen Besuche in Krankenhäusern, Pflegeheimen und Bestattungsinstituten waren angenehm, weil mir meine Verwandten so viel Aufmerksamkeit schenkten. Weder meine Mutter noch mein Vater gehörte einer großen Sippe an (die meisten waren tot), daher war es für alle etwas Neues, ein Kind um sich zu haben. In Krankenhäusern wurde ich über Krankenbetten hinweg von einem liebevollen Verwandten zum nächsten gereicht. Je älter ich wurde, desto wissbegieriger wurde ich auch. Man musste mir verbieten, mit Infusionsbeuteln zu spielen, und ich bat Onkel Abe, seinen Stumpf anfassen zu dürfen, nachdem man ihm ein Bein amputiert hatte. In Bestattungsinstituten verzichteten meine Eltern sehr bald [191] darauf, mich zum Sarg mitzunehmen, weil ich immer den Leichnam berühren wollte.
In den Jahren vor meiner Einschulung verbrachte ich die Tage im Haus von Tante Faye und Onkel Clyde, während meine Eltern arbeiteten. Ich fand es dort toll. Tante Faye (deren Tochter die erwähnte Therapeutin war) spielte bei meiner Erziehung keine kleine Rolle. Sie war eine füllige, herzensgute Frau, die Wärme ausstrahlte, gern einkaufen und essen ging, besonders in Restaurants der Fisch- und Seafood-Kette Red Lobster. Mindestens einmal wöchentlich waren sie und ich zu diesen Zwecken unterwegs. Onkel Clyde arbeitete meist im Freien, doch gelegentlich tauchte er im Wohnzimmer auf und sagte lustige Sachen wie: »James, ich muss mal pissen. Gehst du und erledigst das für mich?« Spätnachmittags saß ich auf der Veranda vor dem Haus auf Fayes Schoß und beobachtete die vielen Autos, die auf der Main Street nach Hause fuhren, und sobald ich den Cadillac meiner Eltern (und später ihren Lincoln Town Car) entdeckte, fuchtelte ich vor Begeisterung mit den Armen.
Dad trug immer einen Anzug zur Arbeit, Mom ein Kleid und Schuhe mit hohen Absätzen. Sie waren ein hübsches Paar; die Leute sagten gern, sie sähen aus wie Steve Lawrence und Eydie Gormé (die ich mit acht Jahren auf einem Konzert sah). Beide waren in der Verwaltung der Sozialversicherungsbehörde beschäftigt. Sie hatten sich in Frankfort, Kentucky, kennengelernt, im Kapitolgebäude. Mein Vater stammte aus Louisville, wo er bis zum Alter von 52 wohnte, als er Mom heiratete. Ehe er die Stellung in der Verwaltung annahm, arbeitete mein Dad hauptberuflich als [192] Jazzmusiker, spielte im Louisville der vierziger und fünfziger Jahre in Nachtclubs Tenorsaxophon. Manchmal arbeitete er
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