Ich geh jetzt in dein Karma rein

schlägt sich der Moderator Jürgen Domian dort nämlich immer montags bis freitags die Nächte um die Ohren, um sich mit diversen Zuhörern zu unterhalten. Die Sendung kann gleichzeitig im Radio und im WDR -Fernsehen verfolgt werden. Ich selbst bin seit 1995 treue Hörerin der Sendung, wenngleich ich wegen der späten Sendezeit von 1 Uhr bis 2 Uhr morgens nicht jede Sendung verfolgen kann. Jürgen Domian war mir durch sein vorbildliches Verhalten während der Sendungen für meine Beratungen auf der Hotline stets ein Vorbild. Auch bei ihm rufen Menschen an, die sich ein Ohr für ihre Probleme und Sorgen wünschen und sich einen Rat erhoffen. Unsere Ausgangssituationen sind quasi identisch, nur dass die Telefongespräche bei Domian kostenfrei sind, keine Zukunftsprognosen erstellt und die Gespräche live übertragen werden. Bis auf wenige Sendungen, für die ein bestimmtes Gesprächsthema vorgegeben ist, können die Zuhörer über ein frei gewähltes Thema sprechen. Egal wer anruft und um was es geht, bei Domian kommt alles auf den Tisch.
    Wenn ich Urlaub von meiner hauptberuflichen Tätigkeit hatte, war ich ausnahmsweise bis nach Mitternacht für meine Karten-Kunden erreichbar, und meistens loggte ich mich pünktlich zum Sendungsbeginn von Domian aus, um den Gesprächen zu lauschen und mich von der Kartenlegerei zu erholen. So war es auch im Frühjahr 2010. Ich schaltete mich offline, als der musikalische Vorspann der Radiosendung begann. Gespannt wartete ich auf die nächtlichen Anrufer und ihre Themen, die sie mit Jürgen Domian besprechen wollten.
    An diesem Abend war Jasmina in der Leitung. Jasmina hatte es geschafft, 80.000 Euro Schulden wegen ihren Anrufen bei Astro-Hotlines anzuhäufen. Solche Kundinnen kannte ich zur Genüge, die hatten hinterher eine bunte Plastikkarten-Kollektion zu Hause und fanden irgendwann keinen Kreditkartenanbieter mehr, den sie nicht schon durchhatten. Und dann wurden sie erfinderisch, genau wie Jasmina. Dann melden sie sich mit falschem Namen und mit falschen Kontoverbindungen an, um trotzdem weiter telefonieren zu können, obwohl die monatlichen Sperrungen vonseiten der Portale längst vollzogen worden sind. Dass sie sich durch diesen Betrug straffällig machen, stört sie nicht. Bei diesen armen Teufeln hat sich die Eso-Beratung zu einer solchen Sucht entwickelt, dass sie nicht mehr in der Lage sind, auch nur eine einzige Entscheidung ohne Karten treffen zu können. Zwei bis drei Stunden am Vormittag, zwei bis drei Stunden am Nachmittag – das Leben dieser Menschen findet praktisch nur noch am Telefon statt.
    Im Fall von Jasmina war es so, dass sie tatsächlich drauf und dran war, in den Knast zu kommen. Das wäre dann kalter Entzug. Und wohl die einzige wirksame Methode. Dieses Elend konnte selbst mein Kummer gewohntes Ohr nicht ohne Wein ertragen. Ich leerte mehrere Gläser, bis die Radiosendung vorüber war. Domian redete Jasmina recht energisch zu, dass sie auf der Stelle die Reißleine ziehen muss und aufhören, sich weiterhin selbst zu belügen. Am Ende wartete Psychologe Peter auf Jasmina, und ich wünschte, er hätte die Kompetenz, sie einzuweisen.
    Nach dem Gespräch trank ich noch zwei Gläser Wein. Ich war für diese Nacht bedient, und Jürgen Domian machte ebenfalls einen leicht angeschlagenen Eindruck. Immer öfter fragte ich mich, wie jemand derart unverantwortlich mit seinem Anrufverhalten auf Astro-Lines umgehen kann. Welchen Anteil die Firmenstrukturen und Marketingmechanismen der Portale und die Berater selbst daran hatten, und vor allem wie man jemandem überhaupt die Möglichkeit dazu geben konnte, 80.000 Euro zu vertelefonieren. Davon kauften sich andere Leute eine Eigentumswohnung!
    Dieses Gespräch beschäftigte mich auch noch am nächsten Tag. Selbst in der darauffolgenden Nacht, als ich meine Schicht kurz vor Beginn der Domian -Sendung beendete, dachte ich an Jasmina. Irgendetwas verursachte ein aufgeregtes Kribbeln in meinem Bauch. Es war wie eine Vorahnung, dass gleich etwas ganz Besonders »live on air« geschehen würde. Ob Jasmina wieder anrufen würde? Bewaffnet mit einem Käsebrot und einer Flasche Mineralwasser setzte ich mich auf die Couch, schaltete das dritte Programm ein und wartete gespannt auf die »After Midnight Callers«, und vor allem darauf, ob es mit meinem Gefühl etwas auf sich hatte oder nicht.
    In der Leitung war Birgit, die äußerst deutlich und selbstsicher sprach und sich auch sogleich als ehemalige Kartenlegerin outete. Birgit