Ich gestehe
Stuhl geworfener Schlafanzug, ein Schlips, der über der Lehne hing, ein Ring, den er vom Finger zog und nicht wieder ansteckte – und das Bett.
Ich schloß die Augen und vergrub das Gesicht in die Kissen. Komm, dachte ich, komm doch, Gaston. Laß es Mittag sein, kehre doch zurück in das Zimmer und küß mich. Ich habe dich ja so lieb, so wahnsinnig lieb, so unmenschlich lieb …
Gaston brachte das Mittagessen mit: eine Schale Trauben, ein paar Kekse, eine Flasche Wein und zwei Pasteten. Wir aßen sie, nebeneinander im Bett liegend, und es war nur eine Unterbrechung unserer Sehnsucht und des Willens, Zeit und Ort zu vergessen und nur zu leben, um den anderen zu fühlen und zu besitzen.
»Ich bin betäubt, wenn du mich küßt«, sagte ich an diesem Tag. »Ich verliere die Gedanken und denke nur noch – du – du – du –«
Er lachte und umfing mich. Sein Kopf ruhte auf meiner Brust. »Diese Anästhesie lehre ich auch nur dich«, sagte er leise. »Du darfst sie nie verraten.«
»Nie, Gaston, nie!« Ich streichelte seine Haare. »Es ist eine Betäubung, die nur uns beide angeht, nur uns, Gaston.«
Am Abend brachte Gaston mich wieder zurück nach Gentilly. Brigit, meine Schwester, stand hinter der Gardine, als unser Wagen hielt und ich mich von Gaston verabschiedete. Er spielte den Abschied formvollendet, küßte mir die Hand und zog den Hut, weil er wußte, daß wir beobachtet wurden.
»Morgen früh, Gisèle«, sagte er leise. »Morgen ist Bocchanini wieder da.«
Ich nickte. Ich zwang mich, gleichgültig zu sein. Ruhig gab ich ihm die Hand. »Auf Wiedersehen, Herr Dr. Ralbais«, sagte ich laut, weil ich sah, daß ein Spalt des Fensters, hinter dem Brigit stand, offenstand.
Ohne mich umzublicken, ging ich ins Haus. Ich hörte, während ich die Tür aufschloß, wie der Wagen anfuhr und sich entfernte.
In der Diele kam mir Brigit entgegen. Sie hatte große Augen und musterte mich. »War das dein Geliebter?« fragte sie. Sie fragte es so unschuldig, daß ich rot wurde.
»Brigit!« rief ich. »Ich müßte dir eins auf den losen Mund geben! Das war Dr. Ralbais, der Oberarzt!«
»Und wo warst du die ganze Nacht?«
Ich zog meine Jacke aus und hing sie an der Garderobe auf. »Es geht dich Fratz eigentlich nichts an«, sagte ich ruhig, und ich wunderte mich, wie klar und ohne Schwanken meine Stimme war. »Aber wenn du es wissen willst: Wir haben in der Nacht eine schwere Operation gehabt, und dann mußte ich einen Teil der Nachtwache übernehmen. Am Morgen kam noch ein Unfall in die Klinik, dann eine Kaiserschnittgeburt – ich habe bis jetzt geschuftet.«
Brigit gab sich mit dieser Lüge zufrieden. Sie nickte und blies sich die blonden Locken aus der Stirn. »Ein netter Mann«, sagte sie verträumt.
»Wer?«
»Dieser Oberarzt.«
»Findest du?« Ich lachte etwas gequält. »Vielleicht vom Aussehen her. Aber sonst? Ein Pedant, ein Querkopf, als Zweiter Chef widerlich.«
Ich beobachtete Brigit, wie sie den Tisch deckte und das Abendessen auftrug. Sie schien sich noch in Gedanken mit Gaston zu beschäftigen. Ich sah es, weil sie stiller war als sonst. Mir bereitete es Vergnügen, daß meine kleine Schwester meinen Geliebten nett fand, und ich war innerlich stolz darauf, daß bestimmt noch viele andere Frauen ihn nett und lieb fanden, und ich allein die Glückliche war, die ihn besitzen durfte, voll und ganz besitzen durfte.
»Was hast du heute gekocht, Brigit?« fragte ich, um die Stille aufzuheben.
»Omelettes mit Champignons.«
»Du verwöhnst mich, Brigit.«
Als ich in Paris die letzten Semester studierte und dann promovierte, hatten meine Eltern Brigit aus Avignon zu mir geschickt, um für mich zu sorgen. Vater sagte immer: »Das Mädel kommt vor lauter Studieren nicht zum Essen. Was nützt mir eine Tochter, die Dr. med. ist, aber 70 Pfund wiegt und die perniziöse Anämie im Blut hat?« Und so schickte er Brigit nach Paris. Dreimal wöchentlich besuchte sie ihre Kurse als Innenarchitektin und versorgte mich rührend. Wir mieteten später mit Vaters Geld in Gentilly eine kleine Wohnung, und alles wäre in den Bahnen verlaufen, wie es die Eltern in Avignon sich dachten, wenn nicht Gaston in mein Leben getreten wäre.
»Bringt dich dieser Dr. Ralbais jetzt immer nach Hause?« fragte Brigit beiläufig, während sie abräumte und das Geschirr in die Küche trug.
»Ich weiß nicht. Was hast du überhaupt mit diesem dummen Ralbais? Ich wäre froh, wenn ich ihn morgen nicht mehr sähe – so eingebildet ist
Weitere Kostenlose Bücher