Ich gestehe
Gesichter!«
Es war ein Skandal, wie ihn die Klinik noch nie erlebt hatte.
Ich wußte von alldem nichts. Ich arbeitete gerade auf der Intensivstation und konnte nicht gestört werden. Aber Gaston war erreichbar. Obgleich es nicht zu den Gepflogenheiten eines Ersten Oberarztes gehört, sich in solche Rüpelszenen einzumischen, fuhr Gaston sofort mit dem Lift nach unten zur Aufnahme und erkannte sofort Fioret.
Aber auch Fioret hatte ein gutes Gedächtnis. Er gab seine Boxerhaltung auf und stand stramm wie auf dem Kasernenhof.
»Der große Meister selbst!« grölte er durch die weite Halle. »Der Kavalier, der junge Ärztinnen abschleppt!«
Das war genau das, was Gaston in den tiefsten Nerv traf. Er stieß die Tür zum Notaufnahmezimmer III, das am nächsten lag, mit einem Fußtritt auf und winkte Fioret zu.
»Kommen Sie hier herein, Fioret!«
»Er kennt mich noch! Er kennt mich noch!« jubelte der Betrunkene. An dem erstaunten Assistenten, den Pflegern und der völlig konsternierten Pfortenschwester vorbei, hüpfte er ins Untersuchungszimmer III und setzte sich dort mit Schwung auf den abgedeckten OP-Tisch, der für Notoperationen gedacht war. Gaston schloß die Tür. Er zog sie nicht bloß zu, er drehte auch den Sicherungshebel herum.
Fioret bemerkte es und wurde schlagartig nüchtern.
»Was ist denn das?« fragte er. »Monsieur Ralbais, schließen Sie sofort auf! Ihr verdammten Chirurgen mit euren Tricks! Kann man hier denn keinen Spaß mehr verstehen?«
»Was wollen Sie bei uns?« fragte Gaston ganz ruhig.
»Ich hatte vor, Gisèle einen Besuch abzustatten. Aber Ihr Erzengel an der Pforte wollte mir keine Auskunft geben. Tat so, als gäbe es keine Dr. Parnasse! Und das mir! Ich habe mit Gisèle fast neun Semester zusammen studiert.«
»Ich weiß. Dr. Parnasse hat mir von Ihnen erzählt.«
»Hat sie das? Das gute Kind!« Fioret lachte wieder dröhnend. »Hat sie Ihnen erzählt, was wir alles angestellt haben? Zum Beispiel vor drei Jahren, in der Grand Opéra? Da haben wir vor der Premiere von ›La Bohème‹ mit fünfzehn Kommilitonen einen Haufen Tabletten zur Flatulenz geschluckt und sind dann in die Oper marschiert. Alle in einer Reihe. Und als dann das süße, zarte Liebesduett begann ›Wie eiskalt ist dies Händchen‹, gab ich mit einem krachenden Furz das Signal, und dann furzten wir alle in die Arie hinein. Ha, ich habe noch nie einen so ratlosen Tenor gesehen und eine so echt leidende Mimi! – Hat Gisèle Ihnen das auch erzählt? Sie war dabei. Sie ist ein echter Kamerad!«
»Ich habe von dem Opernskandal gelesen, Fioret. Nur die Beziehungen der Eltern dieser Studenten verhinderten Strafverfolgungen.«
So war es wirklich gewesen. Fioret und Laroche – diese beiden an erster Stelle – konnten sich vieles erlauben, ohne jemals mit härteren Strafen zu rechnen. Ihre Väter, Onkels oder älteren Vettern saßen in hohen Staatsämtern oder hatten wiederum beste Beziehungen zu allen maßgebenden Stellen. Kamen aus Studentenkreisen um Fioret wieder einmal skandalöse Meldungen, dann wurde ein kleines Heer von Personen in Bewegung gesetzt, das alles glättete.
»Was wollen Sie von Dr. Parnasse?« fragte Gaston ruhig.
Fioret musterte ihn mit geneigtem Kopf. »Wenn ich Ihnen das sagen wollte, brauchte ich Gisèle nicht.«
»Dr. Parnasse ist nicht abkömmlich.«
»Verstehe. Liegt sie noch in Ihrem Bett?«
Ich weiß, daß Gaston alles haßte, was mit Gewalt zusammenhängt. »Man kann über alles sprechen«, sagte er immer. »Und Worte können so viel verhindern, wie sie andererseits auch Katastrophen herbeiführen können. Aber ein gebildeter Mensch, ein Mensch mit Niveau, sollte sich nie auf seine Muskeln, sondern zunächst auf seinen Verstand verlassen. Es gibt nichts, worüber man nicht mit Vernunft diskutieren kann.«
Bei Fioret schien Gaston zu der Überzeugung gekommen zu sein, daß Diskussionen über dieses Thema völlig sinnlos waren. Er antwortete nicht, packte Fioret vorn an der Jacke, riß ihn vom OP-Tisch und verabreichte ihm ein paar Ohrfeigen. Dann stieß er ihn gegen die gekachelte Wand und blickte ihn ohne eine Spur von Angst an.
»Ich weiß, Sie waren Juniorenmeister«, sagte Gaston. »Im Boxen. Sehr gut! Ich habe auch geboxt, im Halbschwergewicht. Und außerdem habe ich – bloß als Hobby – einen Karatekurs hinter mir. Wollen wir es auf eine Kraftprobe ankommen lassen, Fioret? Ich greife Ihren Vorschlag gerne auf: Ich alarmiere vorher die Unfallkollegen.«
»Machen Sie die
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