Ich gestehe
Tür auf, Dr. Ralbais!« antwortete Fioret heiser.
»Nur unter einer Bedingung: Daß Sie ab sofort Gisèle in Ruhe lassen. Sie und Ihre Clique!«
»Sie beanspruchen das Alleinrecht, Kollege?«
»Für diese Frage müßte ich Ihnen ein Ohr taub schlagen«, sagte Gaston ruhig. »Aber Sie sind ja betrunken.«
»Jetzt nicht mehr. Ich bin jetzt ganz klar, Dr. Ralbais.«
»Um so schlimmer, Fioret. Ich wiederhole meine Frage …«
»Und wenn Gisèle selbst mit ihren alten Freunden weiter verkehren will, was dann? Wollen Sie ihr die schönen Stunden im ›Café Mon Dieu‹ stehlen? Sie haben Lisette mit dem kurzen Röckchen noch nicht quietschen hören! Dr. Ralbais, das ist ein Teil unserer Jugend! Davon wollen wir nicht weg. Wissen Sie überhaupt noch, was Jugend ist? Der Stellvertreter von Gottvater Bocchanini! Der Chirurg mit den sehenden Fingerkuppen! Wollen Sie nun auch Gisèle zu einer Operationsmaschine machen? Kollege, unser liebes Mädchen will mehr vom Leben haben als nur aufgeschnittene Leiber! Sie will auch mal tanzen, in einer Diskothek gammeln, im Bois auf dem Rasen liegen, beim Jazz mit den Füßchen stampfen.«
Gaston ging zur Tür und schob den Hebel herum. Er war sehr ernst geworden. Als er sich wieder zu Fioret herumdrehte, war sein Blick fast nach innen gekehrt.
So traf ich ihn an, als man mich doch noch aus der Intensivstation herausholte mit dem Schreckensruf: »Der Erste Ober hat sich mit einem Randalierer im Not-U-III eingeschlossen! Angeblich soll der Fremde auch ein Kollege sein. Fionneret oder so ähnlich!«
Fioret! Mit Gaston! Um Himmels willen, das gibt ein Drama!
Ich fuhr mit dem Lift in die Halle und kam gerade an, als Gaston die Tür aufstieß. Fioret stolperte ins Freie und bemerkte mich sofort. Seine trunkenen Augen begrüßten mich, aber sonst tat er gar nichts. Er ging an mir vorbei, als kenne er mich gar nicht. An der Außentür aber blieb er stehen und drehte sich noch einmal zu uns um.
»Es ist alles Scheiße!« sagte er laut. Seine Stimme klang gar nicht betrunken. »Gisèle, mach's gut! Werd' eine große Ärztin. Erfinde eine neue Narkose. Sammele Anerkennung und Auszeichnungen. Den Preis dafür kennst du. Deine Jugend! Dein herrliches Lachen! Deine Unbekümmertheit! Deine so geliebte Freiheit! Lebt wohl, Freunde, und leckt mich alle am Arsch!«
Ich schämte mich fürchterlich, warf den Kopf in den Nacken und ging zum Lift zurück. Gaston war der einzige, der mit mir zur Intensivstation hinauffuhr. Auf halbem Wege hielt er den Lift mittels des Halteknopfes an. Wir hingen zwischen zwei Stockwerken fest.
»Gaston«, sagte ich leise. Ich wußte, warum er das getan hatte. »Gleich gibt es im Haus Alarm, weil der Lift klemmt.«
»Es ist der einzige Ort, an dem ich jetzt mit dir allein sprechen kann.« Er zog mich an sich, und seinen Körper zu spüren, war wieder ein Moment voll Seligkeit. »Hat Fioret recht?«
»Blödsinn!« antwortete ich grober, als ich eigentlich wollte.
»Fehlt dir das Tanzen? Dann gehen wir am Sonntag ganz groß aus.«
»Gaston, er war betrunken.«
»Möchtest du gern in eine Diskothek? Ich gehe mit. Es muß nicht immer Mozart oder Tschaikowskij sein. Ich werde mich auch amüsieren mit euren Bands und ihren Hits. Du siehst, das Vokabular beherrsche ich schon. Gisèle, du sollst glücklich sein bei mir.«
»Es gibt keine Frau, die glücklicher ist als ich es bin!« sagte ich. Ich sagte es in voller Ehrlichkeit, denn ich fühlte mich am Rande des Himmels. Gaston liebte mich, ich liebte Gaston – das war das Vollkommenste, was es zwischen zwei Menschen geben kann.
»Dann ist es gut«, sagte er, drückte auf den Halteknopf, und der Lift zischte weiter nach oben. »Versprich mir eines, Gisèle!«
»Was, Gaston?«
»Tritt mich gegen das Schienbein, wenn ich anfange, Opa-Manieren zu bekommen. Ich merke es selbst ja nicht.«
Wir lachten, beherrschten uns dann aber, als der Lift in der Intensivstation hielt.
Es ist unangebracht für Ärzte, lachend eine Station zu betreten, wo Menschen und ihre Helfer verzweifelt gegen den Tod kämpfen.
An einem der nachfolgenden Tage wurde in die Klinik eine Frau eingeliefert. Mit einem Uteruskarzinom.
Prof. Dr. Bocchanini hatte sie untersucht und Gaston hinzugezogen. Sie saßen über den Röntgenplatten, als ich ins Zimmer trat, um den Visitenbericht des Morgens abzugeben.
»Wir müssen operieren«, sagte Bocchanini. »Das Karzinom ist noch operabel! Aber es wird eine Hysterektomie werden!«
»Die Frau ist 26
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