Ich gestehe
»In welcher Verfassung ist sie?«
»In der denkbar besten. Ich habe ihr eingeredet, daß die Narbe nicht groß würde, und daß man die Narbe später sogar entfernen könnte.«
»Auch das noch!« Er schlug die Hände über dem Kopf zusammen. »Und dabei wissen wir nicht einmal, ob wir sie überhaupt lebend vom OP-Tisch herunterbekommen! Wenn außer dem Uteruskarzinom noch Metastasen im Unterbauch sind, an Nieren und Blase, oder gar auf den Lymphwegen zum Mittelbauch, dann ist sie rettungslos verloren! Und ich vermute …« Er schwieg und sah mich mit zusammengekniffenen Augen an. »Trink deinen Kognak«, sagte er leiser. Seine Stimme wirkte beruhigend und sanft. »Ich werde mit ihr sprechen.«
Als er das Zimmer verließ und die Tür hinter ihm ins Schloß fiel, hatte ich die Augen geschlossen. Dann aber, allein in dem Zimmer, in dem ich vor einer Nacht noch so wundervoll glücklich gewesen war, begann ich wieder zu weinen. Ich dachte an die Augen und das Lächeln der kleinen Frau, die ihren François so liebte wie ich Gaston, und die ihm ein Kind schenken wollte, während Bocchanini ihr in drei Stunden alles aus dem Leib schneiden würde, was aus ihr erst eine Frau machte.
Wie gemein doch das Leben ist!
*
An diesem Mittag erschien Brigit in der Klinik.
Während Gaston in Zimmer 67 der jungen Frau gegenübersaß und ihr erklärte, daß sie nie ein Kind haben würde, klopfte es an meine Tür, und Brigit trat ins Zimmer. Sie trug ein enges, tief ausgeschnittenes Sommerkleid aus Nylon, das den Ansatz ihrer kleinen, jungen Brust zeigte und sich wie eine zweite Haut um ihre schönen, langen Schenkel schmiegte. Die blonden Haare hatte sie hinten hinaufgekämmt und die Locken wie eine Krone auf dem Kopf zusammengesteckt. Sie sah verwegen aus, frech, oder, wie die Männer beim Anblick eines solchen Mädchens sagen, einfach süß! Am Arm trug sie eine große, bunte Basttasche.
»Was willst du denn hier?« fragte ich verblüfft und zog sie ins Zimmer.
»Papa hat gesagt, ich solle dich gut verpflegen. Und weil du nicht zum Mittagessen gekommen bist, bringe ich es dir. Hier!« Sie öffnete die Basttasche. Ein Topf war darin, ein Glas Obst und eine Thermosflasche. »Ich habe alles mitgebracht. Nur kein Besteck. Das wird es doch wohl hier geben?«
»Kleine Brigit!« Ich küßte sie auf die Wange und packte die Tasche aus. In der Thermosflasche war eine schöne, heiße Suppe, im Topf waren Gulasch mit Nudeln, und das Obst zum Nachtisch bestand aus eingeweckten Pfirsichen. »Du hast an alles gedacht. Und ich habe tatsächlich einen großen Hunger!«
Während ich aus dem Schrank einen Teller und Bestecke holte, sah sich Brigit im Zimmer um. »Das ist dein Aufenthaltsraum?« fragte sie.
»Ja.«
»Nur für dich?« Ich nickte, während ich aß. »Und alle Ärzte haben so einen eigenen Raum?«
»Ja.«
»Hm.« Sie zog den Ausschnitt über der straffen Brust etwas hoch und setzte sich auf den Tisch. Im grellen Sonnenlicht, das durch das breite Fenster vom Garten der Klinik hereinflutete, sah ich, daß sie sich geschminkt und die Augenbrauen mit einem Stift nachgezogen hatte.
»Du schminkst dich, Brigit?«
»Hm. In Paris tun das doch alle.«
»Ich nicht!«
»Ja, du!« Sie lächelte mich unbefangen an. »Ein Arzt muß immer seriös wirken.« Und plötzlich sagte sie, so, als wäre ihr gerade der Gedanke in den Kopf geschossen: »Ist Dr. Ralbais nicht da?«
»Dr. Ralbais?« Ein Stich durchfuhr mein Herz. Gaston! Darum die Schminke, darum das enge, offene Kleid, die kecke Frisur, das Naiv-Süße, das die Männer unwiderstehlich anlockt. Nur wegen Gaston war sie in die Klinik gekommen, und sie hatte das Essen zum unbefangenen Anlaß genommen. »Ich weiß nicht«, sagte ich gleichgültig. »Vielleicht ist er im Arztkasino? Vielleicht beim Chef?«
»Hat er dir wieder die Hand geküßt?« Die Augen Brigits leuchteten.
»Nein!« Ich schob die schönen Pfirsiche weg. Sie schmeckten auf einmal bitter. »Und überhaupt mußt du jetzt gehen, Brigit! Wir operieren in einer Stunde.«
»Mit Dr. Ralbais?«
»Laß mich doch mit dem albernen, eingebildeten Dr. Ralbais in Ruhe!« rief ich wütend. Das Interesse Brigits an Gaston erregte mich. Ich spürte, wie etwas in diesem Mädchen erwacht war, was bisher nur eine dunkle Ahnung schien, daß sie jetzt an der Schwelle zwischen Mädchen und Frau stand und einen Mann anders betrachtete als noch vor einigen Monaten. Daß es gerade Gaston war, fand ich verblüffend, aber auch beruhigend,
Weitere Kostenlose Bücher