Ich gestehe
stören?«
»Aber nein.« Ich biß die Lippen aufeinander und fühlte, daß ich der Aufgabe, dieser Frau die volle Wahrheit zu sagen, nicht gewachsen war. »Und wenn es eine größere Narbe werden sollte, dann kann man sie später immer noch verkleinern. Solch eine Schönheitsoperation ist nicht schlimm.«
»Man kann die Narbe später wegnehmen?«
»Ja.«
»Das ist schön.« Sie richtete sich im Bett auf und strich sich die blonden Locken aus der hohen Stirn. »Weiß es mein Mann schon?«
»Der Herr Oberarzt wird es ihm sagen.«
»Und wann will der Professor operieren?«
»Heute nachmittag.«
»So früh schon?«
»Je früher er operiert, um so früher kommen Sie wieder aus der Klinik heraus und um so schneller können wir später die Narbe bereinigen.«
»Das stimmt.« Sie lächelte mich dankbar an, so, als habe ich ihr einen großen Gefallen getan. »Sie werden auch bei der Operation sein, Frau Doktor?«
»Ja. Ich werde Sie narkotisieren.«
»Das ist schön. Dann bin ich ganz ruhig und habe gar keine Angst mehr. Und François werde ich erzählen, daß ihn die Narbe überhaupt nicht stören wird.«
Ich erhob mich von dem Bett und drückte ihr die kleine, blasse Hand. Aus ihrem Gesicht leuchteten mir ihre blauen Augen entgegen.
»Und wenn ich operiert bin, dann werden wir bestimmt bald ein Kind haben. François und ich möchten so gerne ein Kind. Es wird doch gehen, Frau Doktor?«
Ich war schon an der Tür, als sie es fragte, und ich verließ ohne eine Antwort schnell das Zimmer. Ich tat so, als hätte ich ihre Frage nicht mehr gehört. Auf dem Flur wartete die Schwester mit dem harten Gesicht, in der Hand eine 5-ccm-Injektionsspritze.
»Soll ich?« fragte sie mich. Ich schüttelte müde den Kopf.
»Nein, es ist nicht nötig. Ich habe es ihr nicht sagen können.« Mißmutig legte die Schwester die Spritze auf den Tisch neben dem Fenster, auf dem eine Schale mit einer Alkoholflasche und Verbandszeug stand.
»Soll ich es ihr sagen?« fragte sie.
Ich sah in ihr energisches, fahlgelbes, grobes Gesicht, in die harten, graugrünen Augen, unter denen eine lange Nase hervorsprang.
»Nein.« Ich schüttelte energisch den Kopf. »Ich werde Herrn Dr. Ralbais darum bitten.«
»Wie Sie wollen.«
Die Schwester stellte die Schale in den weißlackierten Wandschrank des Flures und verschwand in einem anderen Zimmer, über dessen Tür eine kleine rote Lampe aufflammte.
Wie ein schuldbewußtes Schulmädchen, das seine Hausaufgaben nicht gemacht hatte, betrat ich das Zimmer Gastons und sah ihn am Fenster sitzen, in einem dicken Buch über die Operation von Uteruskarzinomen lesend.
»Ich komme von Zimmer 67«, sagte ich leise.
Er blickte kurz auf und lächelte. »Na, wie hat sie es aufgenommen?«
»Gut!« rief ich. Ich wunderte mich, daß ich plötzlich laut war, daß meine Stimme sich überschlug und ich dann zu weinen begann. Verblüfft war Gaston aufgesprungen und faßte mich an den Schultern. »Ich habe es ihr nicht gesagt!« schrie ich. »Ich konnte es nicht! Sie ist so jung, so hübsch und so voller Zukunftsplänen. Und so verliebt, so herrlich verliebt in ihren Mann. Ich konnte es einfach nicht.«
Schluchzend drückte ich den Kopf gegen seine Brust und ließ mich zu einem der Sessel führen.
»Setz dich«, sagte Gaston. »Trink einen Kognak, rauch eine Zigarette.«
»Davon wird es auch nicht besser«, schluchzte ich.
»Du bist trotz deines Doktortitels noch wie ein kleines Mädchen. Wie hast du eigentlich das Klinikpraktikum überlebt und die Sezierungen?«
»In der Klinik war ich auf der internistischen Abteilung und beim Sezieren habe ich immer gedacht: Dieses Fleisch ist ja tot. Es ist, als wenn du einen Braten zurechtschneidest …«
Gastons Lachen unterbrach mich. »Und so etwas bekommt den Dr. med.!«
»Ich habe nie den Ehrgeiz gehabt, mit dem Messer auf meine Patienten loszugehen! Ich hätte auch nie eine eigene Praxis aufgemacht. Darum wollte ich ja Narkoseärztin werden! Genaugenommen bin ich eine glatte Anti-Ärztin! Ich weine um jeden Menschen, der unter meinen Händen stirbt.«
Ich ballte die Fäuste und legte sie auf die Lehnen des Sessels.
»Und wenn mich Bocchanini jetzt aus der Klinik wirft: Ich sage es ihr nicht!«
»Dann werde ich es wohl tun müssen? Den Ehemann habe ich schon angerufen. Er wird in knapp einer Stunde hier sein.« Gaston goß mir ein großes Glas Kognak ein und schob mir die Packung mit den starken, schwarzen algerischen Zigaretten hin, die er immer rauchte.
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