Ich glaub, mich tritt ein Kind: Bekenntnisse einer Schwangeren und schonungslose Wahrheiten einer dreifachen Mutter (German Edition)
das Töchterchen um die Ecke, Hand in Hand mit ihrem Freund Jonathan, und sagt: »Wir wollen heiraten.« Und seine Mutter und ich schauen uns an, sehen uns schon in kitschiger Großmutterstola auf der Hochzeit unserer Kinder sitzen und essen die selbst gebackenen Kekse zum Latte Macchiato, denken ans vollwertige Abendessen und an unsere Freunde aus der Vor-Kinderzeit. Wir sollten dringend mal wieder feiern gehen. Vielleicht alle zusammen?!
22.
Vom Weltenbummler zum Weichei –
Neun Monate zwischen Vorfreude und Panik
Liebe Lisa,
um das gleich mal klarzustellen: Ich leide nicht gerade unter einem ausgeprägten Helfersyndrom, klebe keine dämlichen Sprüche-Sticker oder Schweinchen-Postkarten an meinen Laptop, gehe nie in den Zoo und habe meinen Kollegen in der Redaktion nie, wirklich noch nie selbst gebackenen Kuchen in Tupperdosen mitgebracht … Du siehst, meine Fürsorge gegenüber meinen Mitmenschen oder mein Mitteilungsbedürfnis über meine Gefühlehielten sich bis jetzt stark in Grenzen. Im Gegenteil: Ich bin eigentlich immer ein Freigeist gewesen, der alle paar Monate alles hinter sich gelassen hat, um mit einem Rucksack die Welt zu erkunden. Wagemutig und meistens alleine. In Indien bin ich in einen Brunnen gefallen, die Narbe zieht sich bis heute über mein rechtes Schienbein. In China habe ich illegal mit Kormoranen (großen Schwimmvögeln) gefischt. In Tadschikistan hätte mich eine böse Virusinfektion dank verdorbenem Salat und dreckigem Trinkwasser fast das Leben gekostet. Ich war eine unverwüstliche Abenteurerin, eine unverwundbare Actionheldin. Was ich damit eigentlich sagen will, ist, dass es eine Zeit gab, gar nicht so lange her, in der mir nichts und niemand Angst machen, geschweige denn mich zum Heulen bringen konnte.
Diese Zeit endete ziemlich abrupt mit dem fünften Monat meiner Schwangerschaft. Es fing an mit meiner fiesen Blasenentzündung, ging weiter mit Leistenziehen und einer ziemlich ätzenden Zahnwurzelbehandlung im sechsten Monat und machte mich im siebten Monat dank einer Sinusitis (eine fiese Kieferhöhlenentzündung – ich kannte das Wort vorher auch nicht!) zu dem, was ich heute bin: eine hypochondrische, schnell gereizte Heulsuse, die ohne Wollsocken, Halstuch und meterlangen Schwangerschaftskissenrolle nicht mehr zu Bett geht. Vor einem Jahr habe ich noch die Welt erobert, bin mit einem angebrochenen Zeh acht Wochen mit dem Rucksack durch Indien gereist und habe mich nicht um die Schmerzen geschert. Heute rufe ich bei der Gift-Hotline an, weil mir beim Fußnagellackieren Nagellackentferner in eine winzig aufgerissene Hautstelle gespritzt ist. Warum werde ich plötzlich zum Hypochonder? Zur Veranschaulichung hier ein typischer Tagesverlauf in meinem neuen Leben, der Beweis, dass ich mit meiner Selbstbeobachtung nicht übertreibe:
Jeden Morgen öffne ich meine Augen und mache den Senioren-Stresstest. Wie fühle ich mich? Was tut mir denn heute weh? Dabei zählen ein Krampf in der Wade, ein tränendes Auge, eine verstopfte Nase oder ein zerrungsähnlicher Schmerz noch zu den Toll-dann-kann-ich-ja-aufspringen-und-arbeiten-gehen-Beschwerden.
Richtig ernst wird es erst, wenn ich mich mit meinem riesigenKugelbauch aus dem Bett gerollt habe und zum Duschen bereit im Bad stehe. Da! Ein fieser Schmerz im Rücken! Warum brennt es beim Wasserlassen? Und was machen die fünf schmerzhaften Pickel auf meiner sonst pfirsichzarten Haut? Mein Zahnfleisch schmerzt und im Bauch zieht es. Ich habe Kopfweh? Ist das nicht ein sicheres Anzeichen für eine Schwangerschaftsvergiftung?
Also, los geht’s mit dem Wellness-Programm! Bis ich 30 Minuten später die Wohnung verlasse, werde ich meine Zähne mit Myrrhe-Zahnpasta geputzt, dreimal mit Minze gegurgelt, meinen Bauch dreimal mit Öl und mich mit Lavendelcreme zur Beruhigung eingerieben haben. Dann kommt mein Pillenfrühstück, das selbst einem erfahrenen Altenpfleger auf einer Intensivstation Angst machen dürfte. Ich nehme zweimal Schwangerschaftsvitamine mit Folsäure, Jod und Vitamin B12, zweimal Magnesium, eine Cranberry-Kapsel zur Prävention von Harnwegserkrankungen, einmal Eisen und eine von diesen lustigen bunten Multivitamin-Tabletten – damit die Sinusitis nicht wiederkommt. Damit schaffe ich es sorgenfrei bis zur Arbeit. Bis zur nächsten großen Hürde des Tages: Frühstücken und Mittagessen. Belegte Brötchen beim Bäcker: Wer sagt mir, dass die Brötchenverkäuferin ihre Wurstfinger gewaschen hat und ich und das Baby nicht
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