Ich glaub, mich tritt ein Kind: Bekenntnisse einer Schwangeren und schonungslose Wahrheiten einer dreifachen Mutter (German Edition)
mir hier auch keine Splatter-Geschichten hören. Meine Schwägerin Tine sagte neulich: Die größte Gruppe Kinder noch vor der mit Chromosomenstörungen und Herzerkrankungen ist die der gesunden Kinder! Und genauso verhält es sich mit Entbindungen. Die gehen nämlich meistens – Überraschung! – für Mutter und Kind glimpflich aus. Klar steigt die Kaiserschnittrate rasant an, laut Statistischem Bundesamt ist die Quote in Deutschland von 1991 bis 2009 von 15,3 Prozent auf 31,3 Prozent angestiegen. Aber rettet das nicht auch – zumindest manchmal – Leben?
Ich bin ein absoluter Freund von Naturgeburten und finde auch bis heute, dass, wenn schon ein Kaiserschnitt geplant wird, das Kind bitteschön selbst den Zeitpunkt bestimmen sollte, wann es »fertig« ist und raus will, dass also erst mit der ersten Wehe der Bauch aufgeschnitten werden sollte. Aber ich finde es auch gut, dass wir medizinisch so weit sind, dass es heute nicht mehr die Regel ist, dass Frauen bei Geburten sterben! Früher passierte das. Oft sogar. Die Azteken haben das weibliche Gebären früher sogar dem männlichen Tod im Gefecht gleichgesetzt. Auf in den Kampf also? Können wir heute überhaupt noch kämpfen? Unsere europäischen Probleme sind halt andere als früher und eine Finanzkrise mag ja schlimm sein, lässt sich mit existenziellen Problemen wie Krieg und Hunger aber nicht mehr vergleichen. Wir leben in einer Welt, in der wir fast alles unter Kontrolle haben. Und plötzlich steht da eine Geburt an, bei der wir die Kontrolle abgeben müssen. Das bereitet Ängste … und sei es »nur«die Furcht vor postnataler Inkontinenz oder vor dem unkontrollierten Verlust von Körperflüssigkeiten im Kreißsaal. Das sind Frauen, die mit einem normalen Schamverständnis an die Sache rangehen, und ich finde es löblich, dass sie sich diesen Rest an Würde bewahren, obwohl ja bereits in der Schwangerschaft quasi dauerhaft Tag der offenen Tür in ihrem Intimbereich herrscht, bei all den Untersuchungen und Kontrollen. Ich sag dir was: Bei der Geburt bist du so bei dir, so weggebeamt in eine andere Welt, dass dich gar nicht interessieren wird, ob du nun in die Geburtswanne pupst oder nicht. Und ob dabei Musik läuft oder die Wände pastellfarben gestrichen sind, das wird dir dabei am Allerwertesten vorbeigehen. Hauptsache da ist jemand, der dir dein regelmäßig verkrampfendes Händchen hält. Wehe, Handdruck, Pause, Loslassen usw.
Und Loslassen musst du eben nicht erst mit der ersten Wehe, sondern schon jetzt. Dich freimachen von jedem Planungsanspruch. Den Aus-Knopf finden für die Organisationsschaltstelle in deinem Hirn.
Schon mal von dem Begriff Kopfgeburt gehört? Er beschreibt eine mühevoll entwickelte Idee, die trotzdem nicht sonderlich gut gelingt. Heißt auf die Geburt übertragen: Je mehr wir uns gedanklich mit ihr befassen, desto größer ist die Chance einer Enttäuschung, den Kopf sollten wir raushalten aus der Sache: Kopf geburt.
Viele Hebammen erzählen ja, dass bei der Geburt längst begraben Geglaubtes wieder an die Oberfläche geraten kann, weil wir uns nicht nur körperlich, sondern auch seelisch so sehr öffnen. Dass wir Schmerzen aus der Kindheit mit rausschreien in den Momenten des Pressens. Viele glauben auch, dass schon bei der Geburt der Charakter des Kindes zum Vorschein kommt. So sollen etwa Babys, die durch einen »hohen Geradstand« eine natürliche Geburt unmöglich machen, weil sie die letzte Drehung verweigern, auch später im Leben noch sehr willensstark sein, für den letzten Schritt zum Ziel aber Hilfe von außen benötigen. Und lustigerweise passen die Geburten meiner Kinder auch sehr gut zu ihren Charakteren … Meine Tochter, die mit aller Gewalt gegen mein Becken schlug, sich aber weigerte, die letzte Drehungzu tun, um endlich geboren zu werden. Ein Wahnsinnswille, der aber eben manchmal einfach nicht zum Ziel führt – das kommt auch jetzt noch vor. Und die Zwillinge, die es sich so gemütlich gemacht hatten bei mir, dass sie einfach überhaupt nicht raus wollten und mit schlechten Herztönen auf die wehenfördernden Medikamente reagierten, die sind auch heute noch sehr anschmiegsam.
Und wenn du jetzt denkst: Bleib mir weg mit deinen Ammenmärchen. Dann lieber Splatter-Momente? Okay, ich erinnere mich bei meinen Geburten nur an einen einzigen …
Da waren die Zwillinge ganz frisch per Kaiserschnitt geholt und die Ärztin gratulierte meinem Mann am OP-Tisch, indem sie ihre zwei blutigen Metzgerhandschuhe in
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