Ich glaube, der Fliesenleger ist tot!
verhandeln. Ich höre ihm zu und denke: Es ist für eine Beziehung doch immer sehr belebend, wenn man an dem Menschen, den man in- und auswendig zu kennen glaubt, völlig neue Seiten entdeckt.
Zwei Tage später ruft die Maklerin zurück und sagt, wir könnten das Haus haben. Mein Mann hat dem Teufel widerstanden und die Maklerin bezwungen. Ich bin stolz auf ihn.
Baunebenkosten inkl. MwSt.:
Übertrag 18,52 €
Gutachterausschuss, telefonische Bodenrichtwertauskunft 14,48 €
Zwischensumme 33,00 €
Zu Besuch beim Vorlese-Onkel
Viereinhalb Monate nach dem ersten Gespräch mit Frau Müller sitzen wir im vierten Stock eines an der Hamburger Binnenalster gelegenen, feudalen Bürohauses. Wir, das sind Frau Müller, die Immobilienmaklerin, mein Mann und ich. Und der Mann, dem eines der Zimmer in dem Fünfsternebüro gehört. Ein Notar. Notare verdienen, das hat man gehört, sehr, sehr, sehr viel Geld.
Ich schaue mich in seinem Büro um, ich komme zu dem Schluss, dass das kein Gerücht ist, ich denke: Wenn das Wohnzimmer in unserem neuen Haus ungefähr halb so groß wird wie dieses Büro – das sollte reichen.
Augenblicklich vermehrt der Notar seinen Reichtum, indem er sich als extrem gut bezahlter Vorlese-Onkel verdingt. Der Notar liest uns in dem leiernd-näselnden Tonfall des Vertrag-Vorlese-Routiniers einen Immobilienkaufvertrag vor. Der Kaufvertrag regelt, zu welchen Konditionen Frau Müller uns das Haus verkauft. Der Vertrag umfasst vierzehn eng beschriebene Seiten, auf denen Sprachkunstwerke wie dieses zu finden sind: Der Kaufpreis ist »direkt an den Verkäufer zu zahlen, und zwar spätestens 8 Werktage nach dem Absendedatum der Mitteilung des Notars, dass dem Notar die zum Vollzug dieses Vertrages etwa erforderlichen Verzichtserklärungen bzw. Negativzeugnisse in grundbuchtauglicher Form vorliegen – ausgenommen die grunderwerbsteuerliche Unbedenklichkeitsbescheinigung«. Ein anderer Satz lautet: »Die Gefahr des zufälligen Unterganges oder der zufälligen Verschlechterung geht mit der Übergabe auf den Käufer über.«
Ich höre den Satz, ich denke: Das hier ist kein zufälliger, das hier wird mein sorgsam geplanter, notariell beglaubigter Untergang sein.
Immer wenn der Notar einen Kaufvertragsabsatz vorgelesen hat, hält er inne, senkt das Kinn auf seine dunkelblaue Krawatte, blickt über den oberen Rand seiner randlosen Lesebrille in die versammelte Runde und fragt: »Haben Sie dazu noch Fragen?« Oder: »Verstehen Sie das?«
Oft fragt irgendjemand etwas, dann beginnt der Notar zu erläutern, was er da gerade vorgelesen hat. Das gehört zu seinen Aufgaben, schließlich werden die Vertragsunterzeichner am Ende auch unterschreiben, dass sie vom Notar »über die Bedeutung« der im Vertrag enthaltenen Erklärungen »belehrt« worden seien. Unter einer notariellen Belehrung, das bekomme ich schnell mit, versteht man die absolut humorresistente, hundertprozentig spaßfreie, ganz und gar ernsthafte Erläuterung eines juristischen Sachverhaltes. Meine Taktik, angespannte Situationen durch den einen oder anderen Scherz aufzulockern, kommt jedenfalls nicht wirklich gut an.
»Das heißt, wenn wir übermorgen entdecken, dass Frau Müllers Mutter in den Sechzigerjahren im Auftrag des KGB ein unterirdisches Atomforschungslabor in ihrem Garten angelegt hat, können wir uns einen Strick nehmen?«, frage ich, nachdem der Notar § 5, Absatz (1) des Vertrages vorgelesen hat, in dem unter anderem steht: »Der Verkäufer erklärt, dass ihm gegenwärtige oder frühere Bodenveränderungen oder Altlasten im Sinne des BBodSchG nicht bekannt sind. (…) Der Notar (…) hat insbesondere darauf hingewiesen, dass der Käufer etwaige Sachmängel grundsätzlich auf eigene Kosten beseitigen müsste.«
Frau Müller lächelt wenigstens ein bisschen, wenn auch gequält. Der Notar verzieht keine Miene und hebt zu einem kleinen Exkurs über das »Gesetz zum Schutz vor schädlichen Bodenveränderungen und zur Sanierung von Altlasten (BBodSchG)« an.
Um es zu verkraften, seinen Lebensunterhalt mit dem Belehren anderer Menschen zu verdienen, ist es sicher zweckdienlich, sich einen absolut humorresistenten, hundertprozentig spaßfreien, ganz und gar ernsthaften Charakter zuzulegen.
Ich beschließe, das Honorar, das wir dem Notar werden zahlen müssen, als ein – seiner Tätigkeit angemessenes – Schmerzensgeld zu betrachten.
Einem Notartermin fiebert man als unerfahrener Immobilienkäufer mit höchst angespannter Vorfreude
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