Ich glaube, der Fliesenleger ist tot!
Thema innerlich so besessen zu sein, dass man es anderen geradezu zwanghaft aufdrängt – in dem Wissen, dass der andere sich vermutlich einen feuchten Kehricht dafür interessiert, weil er sich gerade in einer ganz anderen Lebenslage befindet. Zu entdecken, dass sich derjenige, den man wider besseres Wissen unaufhörlich mit sich selbst belästigt, zwar in genau der gleichen Lebenslage befindet, aber diskret genug ist, um über dieses Thema binnen Wochen kein einziges Wort zu verlieren, ist eine geradezu erniedrigende Erfahrung.
»Unglaublich! Ich fasse es nicht«, rufe ich. »Seit Monaten schwatze ich dich voll, und du schweigst wie ein Grab. Warum?«
»Weiß nicht.« Jörn zuckt mit den Schultern. »Warum hätte ich was sagen sollen? Gab keinen Anlass.«
»Es gab keinen Anlass?«, fast schreie ich. »Mehr Anlass als mich hat es auf dieser Welt nie gegeben!«
Ich starre Jörn an. Ich hatte immer gedacht, dass wir schlicht und einfach zwei ganz unterschiedliche Menschen sind. Erstmals ziehe ich die Möglichkeit in Betracht, dass Jörn in Wirklichkeit ein Außerirdischer ist, der sich in Gestalt eines Humanoiden auf die Erde begeben hat, um hier als Journalist zu arbeiten. Vielleicht, denke ich, während ich ihn anstarre, ist die Lösung aber auch viel einfacher: Jörn ist ein Mann. Nach einer Weile räuspert sich der Mann: »Wir mussten auch abreißen. Nächste Woche beginnt der Rohbau. Es wird ein Rotklinkerhaus.«
Na also, geht doch.
Am letzten Abend vor unserer Abreise in den Skiurlaub unterschreibe und faxe ich einen Auftrag für den Abriss unseres alten Hauses inklusive Keller, Garage und aller anderen auf dem Grundstück befindlichen Befestigungen wie Gehwegplatten und Mauern zum Festpreis von zwölftausend Euro brutto. Im Preis enthalten sind die Baustelleneinrichtung, ein Bau- WC und die Herstellung einer Baustraße aus Bauschutt auf dem Grundstück. Ich habe den Sielkatasterplan und sämtliche anderen Leitungspläne besorgt. Ich habe in die Wege geleitet, dass vor dem Abriss die Leitungen gekappt und danach der Baustrom- und der Bauwasseranschluss und die Baustellenzufahrt gebaut werden.
Ich habe ein halbes Dutzend Abrissunternehmer durch das Haus geleitet und gefühlte fünf Dutzend Telefonate geführt, Angebote gesammelt, Forderungen formuliert, Aufträge schriftlich konkretisiert und dabei meinen aktiven Wortschatz erheblich erweitert: »Baugrube wird fünfundvierzig Grad geböscht und grob einplaniert übergeben.« – »Es ist bekannt, dass die Garage mit asbesthaltigem Eternit verkleidet ist.« – »Nach Vorschriften der Umweltbehörde fachgerechte Entsorgung.«
Insgesamt sieben verschiedene Angebote habe ich eingeholt: Spare durch Vergleichen! Das teuerste Angebot lag bei rund einundzwanzigtausendsechshundert Euro inklusive Mehrwertsteuer. Das billigste war tatsächlich das vom Bären und lag bei zehntausendfünfundfünfzig Euro brutto. Aller dings brauchte der Bär nicht – wie bei der Besichtigung angekündigt – einen Abend, sondern ganze zehn Tage und mehrere unerwiderte, auf der Mobilbox seines ständig ausgeschalteten Handys hinterlassene Bitten um Rückmeldung, um ein schriftliches Angebot zu schicken. Als es endlich in meinem E-Mail-Fach landete, hatte ich mich innerlich längst von ihm verabschiedet. Meine Lebenserfahrung sagte mir: Finger weg von Männern, die einen dazu nötigen, ihnen hinterherzulaufen. Solche Typen machen einen nur unglücklich.
Das zweitbilligste Angebot lag bei elftausendneunhundert Euro. Es kam von einem Betrieb nahe der deutsch-polnischen Grenze, ohne dass eine Besichtigung stattgefunden hatte. Ich telefonierte mit der extrem freundlichen Ehefrau des Firmeninhabers, die offensichtlich für die Büroarbeiten zuständig war und mit starkem polnischem Akzent sprach. Um ein Haus abzureißen, braucht man einen Bagger und Lastwagen und Schuttcontainer; ich fragte erst mich und dann sie, wie diese Geräte auf unsere Baustelle gelangen sollten.
»Kein Prrroblämm«, sagte die Frau, »werrrdän wirrr Gerrrätä leihän vorrr Orrrt.«
»Und Ihre Arbeiter?«, fragte ich. »Wo übernachten die hier?«
»Machän Sie keinä Sorrrgän, biete!«, sagte die Frau. »Findän wirrr Lössunk.«
Das schriftliche Angebot, das sie schickte, schloss mit den Worten: »Bitte geben sie und reschtzeitig bescheit damit wir Planen können. Und würden uns sehr über den Auftrag freuen. Hochachtungsvoll, E.B.«
Der Preis, die Null am Anfang der Postleitzahl, der polnische Akzent,
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