Ich glaube, der Fliesenleger ist tot!
Könne man anhand eines Bodengutachtens beweisen, dass die Beschaffenheit des Bodens vor Baubeginn bekannt und das Bauwerk daher – wie es selbstverständlich geschehen werde – den örtlichen Gegebenheiten entsprechend geplant und in Auftrag gegeben worden sei, dass man die Schäden also nicht der Natur anlasten könne, sondern auf menschliches Versagen zurückführen müsse, dann sei es sehr viel leichter, Schadensersatzansprüche durchzusetzen.
»Das Gutachten kostet natürlich ein bisschen was«, sagt Katja. »Aber wir glauben, das ist eine gute Investition: Sicher ist sicher. Hast du vor eurem Urlaub Zeit, vorbeizukommen und den Auftrag zu unterschreiben?«
»Ja«, sage ich, »wird schon gehen.«
Baunebenkosten inkl. MwSt.:
Übertrag 32.434,88 €
Gebühr »Aufgrabeschein« 30,00 €
Gebühr »Sondernutzung öffentlicher Wege« 99,00 €
Herstellung Baustellenzufahrt inkl. 8% Auftragsgemeinkostenzuschlag 1.589,27 €
Zwischensumme 34.153,15 €
Stolz und Vorurteile
Wenn ich nicht gerade den Hausabriss organisiere, muss ich meiner eigentlichen Arbeit nachgehen: dem Artikelschreiben. Ab und zu organisiere ich den Hausabriss, obwohl ich eigentlich arbeiten müsste. Es geht nun mal nicht anders.
Mein Büro und mein Telefon teile ich mit Jörn. Jörn und ich sitzen einander gegenüber. Jörn ist vernunftbetont, pragmatisch, ein wenig eigenbrötlerisch – mit einem Hang zum gezielt eingesetzten Sarkasmus: Wenn ich ihm zu sehr auf die Nerven gehe, pflegt er mich mit einer bissigen Bemerkung auf Abstand zu halten. Ich bin emotional, offenherzig, ein bisschen großmäulig – mit einer Neigung zu distanzlosem Verhalten. Wenn ich Jörn mal so richtig ärgern will, rufe ich ihm zur Begrüßung »Guten Morgen, Schnucki!« zu und drücke ihm einen Kuss auf die Wange. Jörn guckt dann aufrichtig angewidert. Ich bin überhaupt nicht sein Typ Frau. Das ist völlig o.k., denn er ist überhaupt nicht mein Typ Mann. Wir kommen gut miteinander aus.
Meistens arbeiten wir still vor uns hin. Manchmal unterhalten wir uns über unsere Schreibtische hinweg ein bisschen. Seit Jörn vor einem knappen Jahr zum ersten Mal Vater geworden ist, redet er am liebsten über seine Tochter. Seit wir vor fünf Monaten das alte Haus gekauft haben, rede ich am liebsten übers Häuserbauen. Erst redete ich über den Hauskauf, dann über die Hausplanung, drei Wochen vor unserem Urlaub habe ich angefangen, übers Häuserabreißen zu reden – ein Themenbereich, der Jörn unmittelbar betrifft, denn er ist Arbeitstag für Arbeitstag Zeuge davon, dass Job und Hausabriss nur schwer unter einen Hut zu bekommen sind: »Moin, Jörn, du Fleißiger! Tut mir leid, bin wieder mal spät dran, ich musste noch mal schnell ins Bezirksamt. Gab’s was Neues in der Konferenz?« – »Entschuldigung, Jörn, ich weiß, das nervt, aber ich muss eben noch mal dringend mit dem Wegewart telefonieren. Nur ganz kurz, versprochen.« – »Mensch, Jörn, mach nicht mehr so lang. Wir sehen uns nächste Woche, ich muss leider früher los, noch einen Abreißer durchs Haus führen.«
Bestimmt bin ich schon längst eine einzige Zumutung für ihn. Ich schwöre mir, seine Geduld angemessen zu vergelten und mich in Zukunft aufrichtig für jedes Detail der geistigen, sprachlichen, seelischen, fein- und grobmotorischen Entwicklung seiner Tochter zu interessieren.
Eines Tages sage ich zu ihm: »Jörn, rate mal, wie viel eine Baustellenauffahrt kostet!«
»Keine Ahnung«, sagt Jörn. »Müssen wir uns nicht drum kümmern, macht der Bauträger alles, ist im Festpreis mit drin.«
»Wie jetzt?«, frage ich.
»Wir bauen auch«, sagt Jörn.
Ich bin elektrisiert: »Hey! Ehrlich? Was für eine Nachricht! Das ist ja großartig! Gratuliere! Erzähl! Wo? Was? Wann geht’s los? Ich bin so gespannt! Du und ich, zwei Bauherren in einem Zimmer – wollen wir nicht endlich mal Mittagessen gehen?«
Jörn und ich sind noch nie zu zweit essen gegangen. Das muss sich ändern: Egal, was früher zwischen uns war, ab sofort sind wir eine Schicksalsgemeinschaft. Jörn guckt leicht angewidert, er lehnt sich so weit wie möglich auf seinem Bürostuhl nach hinten und lässt ihn langsam zurückrollen, weg von seinem Schreibtisch – weg von mir. Wahrscheinlich sehe ich aus, als wollte ich ihn gleich umarmen.
»Wir bauen in Stellingen«, sagt Jörn. »Der Keller ist schon fertig.«
»Wie jetzt?«, frage ich.
»Wir haben vor zwei Monaten angefangen«, sagt Jörn.
Es ist peinlich, von einem
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