Ich glaube, der Fliesenleger ist tot!
die Rechtschreibfehler, das alles rührte mich sehr: Ich malte mir aus, wie miserabel die Auftragslage eines Unternehmers sein muss, damit er bereit ist, den Abriss eines über fünfhundert Kilometer weit entfernten, nicht persönlich begutachteten Hauses zu einem so günstigen Preis zu übernehmen – von dem er dann nicht nur seine Arbeiter und die Entsorgung des Bauschutts zahlen muss, sondern darüber hinaus die Miete aller benötigten Geräte und die Übernachtungskosten seiner Mitarbeiter. Wahrscheinlich waren wir seine letzte Hoffnung. Wenn wir ihm den Auftrag nicht gaben, würde er pleitegehen: eine weitere verdörrte Existenz in jener Region Deutschlands, in der den Menschen vor mehr als zwanzig Jahren blühende Landschaften versprochen worden waren. Ich war kurz davor, der polnischen Ehefrau den Auftrag zu erteilen – aus Mitleid. Im letzten Augenblick besann ich mich eines Besseren. Meine Lebenserfahrung sagte mir: Auch Mitleid ist keine gute Basis für eine gemeinsame Zukunft.
Am Ende schlug ich beim drittbilligsten Angebot zu, das von einer großen Hamburger Firma mit ordentlicher Homepage und zahlreichen Referenzen stammte – allerdings erst, nachdem ich den ursprünglich angebotenen Bruttopreis um knapp fünfhundert Euro auf die schöne glatte Summe von zwölftausend Euro heruntergehandelt hatte und dabei nur leicht errötet war.
Als ich am Freitagmittag nach Schulschluss vor unserem mit Skizeugs proppenvollgestopften Auto stehe, frage ich mich, ob ich dort überhaupt noch hineinpasse: Ich fühle mich mindestens einen Kopf größer als früher. Ich platze fast vor Stolz. Ich bin eine Abrissheldin, und das, was ich in den letzten drei Wochen geleistet habe, wird reichen, um meinem Mann bei den gelegentlich immer noch stattfindenden Pflichtverteilungskämpfen für mindestens drei Monate jeden Wind aus den Segeln zu nehmen: »Wieso soll ich denn schon wieder mit dem Hund rausgehen? Ich war doch gestern Abend schon draußen?«
»Na und? Und ich habe den Abriss organisiert.«
Dank meines unerschrockenen Einsatzes wird unserem Neubau schon in Kürze nichts mehr im Wege stehen. Nicht unmöglich, haben die Architektinnen gesagt, dass wir das kommende Weihnachtfest im neuen Heim feiern können.
Jörn, der in Sachen Hausbau schließlich doch ein wenig gesprächig wurde, weiß schon ganz genau, wann er einziehen wird: im Oktober. Den Termin hat er sich vertraglich garantieren lassen – von dem Generalunternehmer, der sein Haus baut. Zum Festpreis natürlich.
»Wann zieht ihr ein?«, wollte Jörn wissen.
»Weiß nicht genau«, sagte ich. »Ich nehme an, wenn das Haus fertig ist. Vielleicht sogar schon Weihnachten.«
»So, so«, sagte Jörn und runzelte die Stirn. »Aber ihr habt auch einen Festpreis ausgehandelt?«
»Nö«, sagte ich, »ich glaube, das ist unüblich, wenn man mit Architekten baut.«
Jörns Blick signalisierte, dass er uns für komplett wahnsinnig hält. Ich beeilte mich hinzuzufügen:
»Aber unsere Architektin weiß, wie viel wir maximal ausgeben können. Ist euers ein Fertighaus?«
»Nö«, sagte Jörn, »selbst entworfen. Von meiner Frau.«
»Ach, ist die auch Architektin?«, fragte ich.
»Nein«, sagte Jörn, »einen Architekten brauchten wir nicht. Wir wussten ganz genau, was wir wollten. Meine Frau hat eine Zeichnung angefertigt, damit sind wir dann zu verschiedenen Bauunternehmern gegangen und haben gesagt ›Das wollen wir!‹, und dann haben wir den mit dem besten Preis genommen.«
»So, so«, sagte ich. »Giebel- oder Flachdach?«
»Flachdach? Bloß nicht! So was kommt mir nicht aufs Haus. Da regnet es doch nur durch«, sagte Jörn. »Zwei Stockwerke, ein ganz flaches Walmdach, damit wir nicht zu viele Schrägen haben. Ich glaube, so was nennt man Toskanahaus. Unten Wohnzimmer, Arbeitszimmer, Küche …«
»… eine offene Küche?«, fragte ich.
»Neumodischer Schnickschnack«, sagte Jörn. »Du kochst, und dann stinkt es überall. Nein, eine ordentliche Küche natürlich.«
Ich traute mich kaum, den letzten Punkt abzuhaken: »Fußbodenheizung?«
»Boa, nee, bloß nicht!«, rief Jörn. »Ich will doch zu Hause nicht auf einem Grill herumlaufen müssen.«
Wie gesagt, Jörn und ich sind sehr unterschiedliche Menschen.
Fünf Tage nach unserer Ankunft in den Bergen stirbt plötzlich mein Schwiegervater. Mein Mann fliegt nach Hause. Damit er sich in Ruhe um seine Mutter und die Beerdigung kümmern kann, bleiben die Kinder und ich traurig und lustlos bei unseren
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