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Ich glaube, der Fliesenleger ist tot!

Ich glaube, der Fliesenleger ist tot!

Titel: Ich glaube, der Fliesenleger ist tot! Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: J Karnick
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gesamte materielle Existenz auf eine Karte gesetzt. Wenn dieses Projekt misslingt, verpfuscht oder zu teuer wird, sind wir am Arsch. Daraus folgt: Wir haben euch, als wir den Vertrag mit euch unterzeichneten, nicht nur beauftragt, uns ein Haus zu bauen – wir haben mit unseren Unterschriften unsere Zukunft, unser Glück, unser Leben in eure Hände gelegt. Darum mag ein Fehler, der euch unterläuft, für euch etwas sein, was jedem mal passieren und was man uns darum in einem lapidaren Nebensatz unterjubeln kann. Für uns ist jeder Fehler eine Katastrophe, nämlich ein Grund, an euch zu zweifeln und nächtelang schlotternd vor Angst wach zu liegen. P.S. Im normalen Leben mögen wir einigermaßen lockere, lustige Typen sein, als Bauherren verstehen wir leider null Spaß.«
    Wie viele Architekturstudenten und angehende Bauingenieure gibt es wohl, die davon träumen, eines Tages schöne Häuser in die Welt zu setzen? Sagt denen eigentlich irgendjemand, dass es zu ihrem Joballtag gehören wird, sich mit den Existenzängsten gutbürgerlicher Ehepaare herumzuschlagen? Dass sie Verantwortung tragen werden nicht nur für das Gelingen oder Scheitern von Bau-, sondern von Lebensplänen?
    Nachdem die panischen Bauherren ihr Herz ausgeschüttet hatten, war die Architektin dran. Was die Architektin zu sagen hatte, war unterm Strich dies: »Wir sind Menschen, verdammt noch mal. Es kommt vor, dass wir Fehler machen, das tut uns leid, und wir tun alles, um diese Fehler wiedergutzumachen. Wenn euch etwas auf dem Herzen liegt, dann redet besser gleich mit uns, statt es in euch hineinzufressen. Ein Hausbau ist nämlich eine sehr komplexe Aufgabe, bei der es noch sehr viele unerwartete Probleme geben wird, die wir gemeinsam werden lösen müssen. Wenn ihr jedes Mal ausflippt, sobald es kompliziert wird, wird das für uns alle sehr anstrengend. Und falls ihr uns nicht glauben könnt, dass wir für euch unser Bestes geben, sollten wir die Zusammenarbeit beenden.
    Wir wissen, wie groß die Verantwortung ist, die wir tragen. Gerade deshalb haben wir uns die Mühe gemacht, jetzt schon die Kosten für das gesamte Haus vom Fundament über die Küche bis hin zu den Gardinenstangen und dem Gartenzaun vorauszuberechnen. Jetzt schon wissen wir: So, wie es augenblicklich geplant ist, wird das Haus zu teuer. Jetzt können wir die Kosten noch senken. Das ist mühsam, aber immer noch besser, als wenn mittendrin das Geld ausgeht – so wie es manch anderen Bauherren ergeht. Also reißt euch bitte zusammen. Noch seid ihr nicht ruiniert!«
    Es sei durchaus üblich, hat Sarah gesagt, dass Architekten am Anfang nur die Preise für die reine Baukonstruktion einholen, für den Rohbau, das Dach, die Fenster, den Putz, die Sanitär- und Elektroinstallationen. Wenn mit dem Bau begonnen wird, bevor auch die Kosten für den Innenausbau kalkuliert sind, bestehe die Gefahr, dass viel zu spät klar werde: Für ein schönes Bad, für einen Holzfußboden, für den Garten reicht es nicht mehr. Sie werde dafür sorgen, dass uns das nicht passiere. Kurzum: Statt uns über die Gesamtsumme der derzeitigen Kostenaufstellung aufzuregen, sollten wir uns darüber freuen, dass sie sie rechtzeitig und akribisch genug ermittelt hätten, um daran etwas zu ändern.
    Die Aussprache hat eine knappe halbe Stunde gedauert. Als alles ausgesprochen worden war, was endlich mal gesagt werden musste, hat sich ein ähnlich betretenes Schweigen breitgemacht, wie es nach dem ersten richtigen Zoff mit einer neuen, noch nicht konflikterprobten Liebe zu herrschen pflegt: eine Mischung aus Erleichterung darüber, dass man sich getraut hat zu sagen, was einem auf dem Herzen liegt, aus der Verunsicherung, die einen überkommt, nachdem man sich jemandem das erste Mal von einer irrationalen, verletzlichen Seite präsentiert hat, und aus der Verlegenheit, die folgt, wenn man sich mit einem eigentlich noch Fremden auf etwas so Intimes wie eine emotional geführte Auseinandersetzung eingelassen hat.
    Plötzlich ist mir bewusst geworden, was ich zuvor höchstens unterschwellig ahnte: Auf dem Papier mögen Architekten und Bauherren nur Geschäftspartner sein. In Wirklichkeit führen sie eine Beziehung auf Zeit – inklusive Verliebtheit und Entzauberung, kleinen Missverständnissen und großen Beziehungskrisen, Problemgesprächen und natürlich der Gefahr des Scheiterns. Kein Wunder, habe ich gedacht, dass man immer wieder von Architekten und Bauherren hört, die irgendwann nicht mehr miteinander reden.

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