Ich glaube, der Fliesenleger ist tot!
Kampfmittelverdacht. Nur zehn Tage nachdem ich den Antrag auf Gefahrenerforschung und Luftbildauswertung abgeschickt habe, liegt der Brief bei uns im Briefkasten. Es gibt sie noch, Beamte mit Herz.
Meine Hände zittern, als ich den Briefumschlag öffne. Ich gehe sicherheitshalber vom Schlimmsten aus, denn bisher ist nichts ganz glattgelaufen. Ich bin felsenfest davon überzeugt, dass unser Grundstück bombenverdächtig ist. Ich bin darauf gefasst, Männer mit großen Metalldetektoren und noch größeren Stundenlöhnen damit beauftragen zu müssen, über unseren inzwischen mit blühendem Unkraut überwucherten Acker zu robben und ihn nach Handgranaten abzusuchen. Egal, wir sind gerade dabei, eine Kostenexplosion in den Griff zu bekommen, also werden wir auch diese Katastrophe überstehen. Ich reiße den Umschlag auf. In dem Umschlag liegen zwei Blätter Papier. Auf dem ersten Blatt steht: »Sehr geehrte Frau Karnick, die Auswertung der alliierten Luftbilder aus dem II . Weltkrieg hat ergeben, dass auf der von Ihnen angefragten Fläche kein Hinweis auf noch nicht beseitigte Bombenblindgänger oder vergrabene Munition, Kampfstoffe oder Waffen etc. vorhanden ist. Die Fläche wird nicht nach §1 (4) der Kampfmittelverordnung (Kampfmittel- VO , Hamburgisches Gesetz- und Verordnungsblatt Nr. 45 vom 30.12.2005) als Verdachtsfläche eingestuft. Nach heutigem Kenntnisstand ist keine Sondierung notwendig. Ein Gebührenbescheid geht Ihnen gesondert zu. Mit freundlichen Grüßen, Sch.«
Das zweite Blatt ist ein Ausschnitt aus dem Flurplan, es zeigt in sehr großem Maßstab den Umriss unseres Grundstückes zwischen den Nachbargrundstücken, unser Grundstück strahlt in allerschönstem satten Gute-Laune-Grasgrün zwischen den schwarz-weißen Umrissen der anderen Grundstücke hervor. Ich rufe sofort meinen Mann an, wir können unser Glück nicht fassen, dann schreibe ich eine Mail an die Sachbearbeiterin Frau Sch.: »Sie ahnen nicht – oder vielleicht doch? –, wie sehr Sie uns geholfen haben.«
Nachdem wir alles verkleinert, vereinfacht, gekürzt und gestrichen haben, was wir verkleinern, vereinfachen, kürzen und streichen können, ohne dass unsere Liebe zum Projekt »Hausbau« darunter leidet, legt Katja uns den finalen Kostenplan zur Unterschrift vor. Ein Kostenplan ist eine Art Vertrag zwischen Architekt und Bauherr, in dem die bereits ermittelten oder veranschlagten Kosten jeder einzelnen Baumaßnahme aufgeführt werden: Wie viel kostet die Heizungsanlage, wie viel der Außenputz, der Waschtisch, die Fensterbänke, der Rasen. Beziehungsweise: Wie viel dürfen die Badezimmerfliesen oder die Türgriffe maximal kosten? Aus den Einzelkosten ergibt sich der Gesamtpreis des Hauses.
Der Kostenplan wird sowohl vom Bauherrn als auch vom Architekten unterschrieben. Der Bauherr gibt damit sein schriftliches Einverständnis, ein Haus zu diesem Preis bauen zu lassen. Der Architekt verpflichtet sich, alle weiteren Planungen nach dem vereinbarten Kostenplan zu richten. Weichen die Kosten für eine geplante Baumaßnahme um mehr als zehn Prozent von der einkalkulierten Summe ab, muss der Architekt den Bauherrn ausdrücklich darauf hinweisen und sich die Mehrkosten zu seiner Absicherung schriftlich genehmigen lassen. Andernfalls läuft er Gefahr, sich haftbar zu machen.
Die Summe, unter die mein Mann und ich unsere Unterschrift setzen, ist viel kleiner als die Summe, die uns vor gut zwei Wochen um den Schlaf und auf die Barrikaden brachte. Sie ist außerdem größer als die Summe, von der wir bei unseren Kreditverhandlungen ausgegangen sind. Es gibt nun einmal Träume, die sind auch mit Vernunft nicht totzukriegen. Wir können uns einfach nicht vom Kamin trennen, denn was ich sehe, wenn ich an das neue Haus denke, ist dies: Wir sitzen an einem Winterabend am Esstisch in der offenen Küche, während im Kamin ein gemütliches Feuer flackert. Diese Vision will sich nicht ersetzen lassen durch ein anderes Bild. Und wenigstens eine der ursprünglich drei Ganzglasecken in den Fensterfronten soll bleiben. Und wenn man schon ganz neu baut, dann wäre es doch dumm, keine Einbauleuchten einzuplanen. Mein Mann und ich haben mal wieder die Schönredemaschine angekurbelt.
»Man baut schließlich nur einmal im Leben«, sage ich. »Dann lieber gleich richtig.«
»Und meistens ist es ja auch viel teurer, die Sachen später machen zu lassen«, sagt mein Mann.
»Und wir haben ja auch ein bisschen mehr Eigenkapital, als wir zuerst dachten«, sage ich.
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