Ich glaube, der Fliesenleger ist tot!
halt damit abfinden, dass der Baubeginn sich noch mal verzögert.«
»Ich bin der Herr, dein Gott, bin ein eifriger Gott, der da heimsucht der Väter Missetat an den Kindern bis ins dritte und vierte Glied. Zweites Buch Mose, Kapitel zwanzig, Vers vier«, sage ich. »Unsere Großeltern und Urgroßeltern haben Hitler nicht verhindert, und deshalb müssen wir unseren Hausbau verschieben.«
Dem Antrag füge ich ein Anschreiben bei, in dem ich um zügige Bearbeitung bettele – in einem Tonfall, den man wahlweise als heiter-charmant oder hemmungslos schleimig bezeichnen kann. Ich ahne, dass er die Gefahrensucher entweder so sehr rühren wird, dass sie unsere Antragsbearbeitung vorziehen. Oder so sehr abstoßen, dass sie den Antrag auf der Stelle im Klo versenken und später behaupten werden, ihn nie erhalten zu haben. »Bitte, bitte«, bettele ich, »es ist auch nur ein ganz kleines Grundstück, nur fünfhundertsiebenundfünfzig Quadratmeter groß.«
Ich schicke außerdem einen Bittbrief mit, den zu schreiben Sarah angeboten hat. Ich habe ihr Angebot angenommen, doppelt hält besser. In dem Brief steht: »Sehr geehrte Damen und Herren, wir haben es versäumt, unsere Bauherren darauf hinzuweisen, dass sie vor Baubeginn einen Antrag auf Gefahrenerkundung stellen müssen. Eine bis zu dreimonatige Wartezeit wäre für alle Beteiligten sehr unglücklich.«
Baunebenkosten inkl. MwSt.:
Übertrag 49.621,03 €
Genehmigungsgebühren Bauantrag 1.262,60 €
Zwischensumme 50.883,63 €
Kostenexplosion
Es ist nach Mitternacht, ich liege im Bett und wälze mich von einer Seite auf die andere, ich schwitze, mein Herz rast, mir ist kotzübel, meine Gedanken kreisen um düstere Visionen. Ach was, »meine Gedanken kreisen« ist gar kein Ausdruck: Ich vergehe fast vor Sorge. Mein Mann wälzt sich ebenfalls. Ich knipse die Nachttischlampe wieder an und setze mich auf.
»Ich will nicht mehr«, sage ich. »Lass es uns einsehen, das war alles ein großer Fehler. Aber es ist noch nicht zu spät, um den Fehler halbwegs wieder rückgängig zu machen. Wir verkaufen das Grundstück wieder. Selbst wenn wir dabei richtig Verlust machen – immer noch besser, als sich den Rest seines Lebens zu versauen.«
»Hm«, brummt mein Mann.
Er widerspricht mir nicht, ein beunruhigendes Zeichen. Normalerweise bin ich dafür zuständig, schwache Nerven zu zeigen und die Zukunft rabenschwarz zu malen, um so meinem Mann die Gelegenheit zu geben, sich als cooler Sack zu profilieren. Der sonst so coole Sack wirkt leider gerade ziemlich jämmerlich. Er guckt mit tiefen Sorgenfalten auf der Stirn zwischen Kopfkissen und Bettdecke hervor und macht nicht die geringsten Anstalten, mich davon zu überzeugen, dass ich eine hysterische Furie bin. Im Gegenteil.
»Vielleicht hast du recht«, sagt mein Mann. »Lass uns morgen Nachmittag abwarten, und dann sehen wir weiter.«
Morgen Nachmittag findet der Kostenbesprechungstermin statt.
Vorgestern Abend kam eine Mail von Sarah, Betreff: »Vorbereitung Gespräch Kosten«. Wenn es die Chefin persönlich ist, die zu einem heiklen Thema eine Mail schickt, dann weiß ich inzwischen schon vor dem Lesen, dass es unangenehm wird: »Ende letzter Woche haben wir alle Kosten beisam mengehabt«, las ich. »Unser Ergebnis ist deutlich über Eurer Zielvorgabe. Wir senden Euch morgen Abend die Kostenberechnung. Am Dienstag müssen wir gemeinsam alle möglichen Einsparpotenziale finden. Zur Beruhigung: Der Weg ist anstrengend, aber nicht ungewöhnlich!«
Ich war gar nicht beruhigt. Das Haus, das ich bis eben vor mir sah, wenn ich auf die Baupläne guckte oder abends im Bett die Augen schloss, war mein Traumhaus. Noch am Tag zuvor hatte ich in einem Bildband geblättert, den mein Mann gekauft hatte: Purissimo. Aktuelle Beispiele minimalistischer Wohnhäuser . Ich hatte von meinem eigenen Haus geträumt und laut lachen müssen, als ich das Foto eines spärlich möblierten Ess- und Wohnzimmers entdeckte: Auf dem Foto sah man einen Paravent in Milchglasoptik, der einen leeren, schwarzen Esstisch im Vordergrund von einer für den Betrachter unsichtbaren Sitzecke im Hintergrund trennte. Hinter der halb durchsichtigen Trennwand konnte man schemenhaft die Umrisse von aufgetürmten Stühlen und anderem Hausrat erkennen – offensichtlich hatte der Fotograf alles, was den minimalistischen Eindruck stören könnte, dort auf einen Haufen geschoben. Das echte Leben, hatte ich gedacht, sieht doch immer anders aus als in
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