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Ich glaube, der Fliesenleger ist tot!

Ich glaube, der Fliesenleger ist tot!

Titel: Ich glaube, der Fliesenleger ist tot! Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: J Karnick
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Wieder ist es Sarah gewesen, die das Schweigen gebrochen hat.
    »Und?«, hat sie gesagt. »Wollt ihr weitermachen?«
    Mein Mann und ich haben uns angeschaut.
    »Ja«, habe ich gesagt und gedacht: Ja, vielleicht ist es Irrsinn, aber ich bin total verknallt in dich und deine Ideen, ich will ein Haus von dir!
    »Gerne«, hat mein Mann gesagt und ganz bestimmt gedacht: Scheiße, bin ich froh, dass wir das Gelaber hinter uns haben.
    »O.k.«, hat Sarah gesagt, keine Ahnung, was sie gedacht hat. »Dann lasst uns anfangen. Wir gehen jetzt Punkt für Punkt die Kostenaufstellung durch und überlegen, wo wir billiger werden können. Manchmal tut es einem Haus sogar gut, wenn man einfacher werden muss.«
    Mit dem Traumhaus ist es ein bisschen wie mit dem Traummann oder der Traumfrau. Der Mensch auf Beziehungssuche weiß, dass es den perfekten Partner nicht gibt. Aber wenn man ihn dazu nötigt, bewusst zu entscheiden, auf welche erträumten Attribute er im konkreten Fall zu verzichten bereit ist, fällt es ihm äußerst schwer, sich festzulegen.
    »Erfolgreicher Akademiker, fünfundvierzig Jahre, solvent, fürsorglich, zuverlässig, aber völlig humorlos.« – »Sportbegeisterte, liebevolle Angestellte Mitte zwanzig, überdurchschnittlich attraktiv, unterdurchschnittlich intelligent.« – »Einfühlsamer, kulturbegeisterter Landschaftsgärtner Anfang dreißig, große handwerkliche Begabung, schlechter Liebhaber.« – »Ach, danke nein, ich glaube, ich bleibe lieber Single.«
    Mir ist klar, dass wir uns das Haus, wie wir es uns in den letzten Wochen und Monaten zurechtgeträumt haben, nicht leisten können. Aber nun, wo wir entscheiden sollen, welche Attribute wir entbehren können, fällt mir erst mal gar nichts Konstruktives ein. Dass das Haus keinen Keller haben wird, damit habe ich mich abgefunden. Jetzt auch noch: keinen Kamin, keine Dielen, keinen Schuppen? Hatte ich nicht gesagt: entweder ein richtig tolles Haus oder gar keines? Vielleicht bleibe ich doch lieber Mieterin?
    Wir treffen uns mehrere Male zum Wunschschrumpfen, jedes Mal sitzen wir Stunden zusammen und diskutieren. Als Erstes verkleinern wir das Haus. Das Arbeitszimmer, die Kinderzimmer und das Schlafzimmer fallen weniger großzügig aus, der begehbare Kleiderschrank fällt ganz weg. Aus dem massiven Schuppen mit Carport wird ein Holzschuppen ohne Carport. Wir verzichten darauf, die Wände vor dem Streichen mit Malervlies bekleben zu lassen. Sarah schlägt vor, die Decke im Erdgeschoss nicht zu verputzen, sodass der Beton sichtbar bleibt. Dazu passt eine Treppe aus Beton, die als Fertigteil geliefert werden kann. Ins Erdgeschoss kommt statt teurer Eichendielen dunkelgrünes Linoleum, das kostet nur halb so viel. Die Fensterfronten werden aus Standard- statt aus maßgefertigten Elementen gebaut, aus Holz statt aus Stahl.
    Mit jeder Sparmaßnahme verändert das Haus, insbesondere das Erdgeschoss, seinen Charakter – weg von der klassischen, gediegenen Ausstattung in Weiß und Holz, hin zum Einfachen, Rohen. Wir arbeiten uns Zeile für Zeile durch den Kostenplan: Muss das wirklich sein? Geht das auch preiswerter? Wir merken: Sarah hatte recht. Weniger ist tatsächlich manchmal mehr. Wäre die teurere Hausvariante nicht geradezu peinlich protzig geworden? Passt das billigere Haus nicht in Wahrheit viel besser zu uns? Wer braucht schon ein Dreißig-Quadratmeter-Schlafzimmer? Ein bisschen weniger Platz ist doch eigentlich viel gemütlicher. Wir merken außerdem: Not macht erfinderisch. Auf Linoleum als möglichen Bodenbelag hätte ich mich ohne Zwang zum Sparen nie eingelassen, nun stelle ich mir eine weiße Küche auf dunkelgrünem Fußboden unter einer grauen Betondecke vor und bin nicht nur einverstanden, sondern hellauf begeistert. Das hat nicht jeder. Das wird der Hammer!
    »Und was habt ihr für einen Fußboden?«, will mein Kollege Jörn wissen.
    »Oben Holz, unten dunkelgrünes Linoleum«, sage ich. »Bin total gespannt, sieht bestimmt irre gut aus.«
    »Da wäre ich aber auch gespannt. Das sieht bestimmt aus wie in einer Turnhalle«, sagt Jörn. »Hast du das mal irgendwo gesehen?«
    »Nö«, sage ich. »Ich kenne keinen, der Linoleum zu Hause liegen hat.«
    »Und du glaubst nicht, dass es dafür einen Grund gibt?«, fragt Jörn.
    Ich wollte ein ganz besonderes Haus, nun bekomme ich es.
    Was ich außerdem bekomme, und zwar viel früher als erwartet, ist ein grauer DIN -A4-Behörden-Briefumschlag. Absender: Feuerwehr Hamburg, Abteilung Gefahrenerkundung

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