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Ich glaube, der Fliesenleger ist tot!

Ich glaube, der Fliesenleger ist tot!

Titel: Ich glaube, der Fliesenleger ist tot! Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: J Karnick
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Architekturbildbänden.
    Nun war mir das Lachen schlagartig vergangen. Dass das Haus »deutlich« zu teuer ist, konnte nur heißen, dass wir eine deutliche Anzahl von Träumen würden streichen müssen. Träume minimieren ist eine nicht nur anstrengende, sondern wahnsinnig deprimierende Aufgabe, dachte ich. Warum haben uns die Architektinnen das nicht erspart, indem sie von vorneherein realistisch geblieben sind?
    Ich habe schlecht geschlafen, den ganzen heutigen Tag habe ich kaum essen können, ich habe an meinem Schreibtisch gesessen, auf den Bildschirm des Computers gestarrt und keinen einzigen vernünftigen Satz zustande bekommen, bis zum Abend hat sich meine Anspannung ins Unerträgliche gesteigert, ab sechs Uhr habe ich alle drei Minuten meine E-Mails gecheckt, um zehn nach acht war sie endlich da, die Mail mit der Kostenübersicht, um elf nach acht war klar: 1. Das Haus ist nicht nur deutlich zu teuer, es liegt völlig außerhalb unserer Möglichkeiten. 2. Wenn mein Mann nach Hause kommt und die Summe sieht, die am Ende des dreizehnseitigen PDF -Dokuments unterm Strich steht, wird er einen Tobsuchtsanfall bekommen.
    Nachdem die Architektinnen das Bodengutachten erst zu spät eingeholt und kurz darauf hatten zugeben müssen, von der Pflicht zur »Gefahrenerkundung« noch nie gehört zu haben, hatte sich zu seiner Begeisterung über ihre kreativen Leistungen ein leichtes Misstrauen gegenüber ihrer praktischen Kompetenz gesellt.
    »Sich hübsche Häuser ausdenken, das können sie ja«, hatte mein Mann in den letzten Wochen mehrmals gesagt, »aber ich bin mir nicht mehr ganz sicher, ob man sie diese hübschen Häuser auch bauen lassen sollte. Ist denen eigentlich klar, dass jeder Monat Bauverzögerung eine Kaltmiete Mehrkosten für uns bedeutet? Vielleicht hätten wir doch jemanden mit sehr viel Erfahrung nehmen sollen?«
    Bis jetzt hatte ich Sarah immer verteidigt. Meine Argumentation: Wir finden es großartig, wie viel Spaß das Hausentwerfen mit ihr macht, mit wie viel Zeit und Geduld sie sich uns und unseren Wünschen widmet, mit wie viel Leidenschaft und Liebe zum Detail sie bei der Sache ist. So viel Engagement ist sicher nicht selbstverständlich, und wahrscheinlich hängt es damit zusammen, dass sie noch keine routinierte Stararchitektin ist, sondern eher eine »Junge Wilde«. Wenn wir aber in so vielerlei Hinsicht von ihrer gar nicht abgebrühten Begeisterungsfähigkeit profitieren, sollten wir dann nicht bereit sein, eventuelle Nachteile dieser fehlenden Routine in Kauf zu nehmen? Man kann nicht alles haben.
    Nach dem Lesen der Kostenberechnung allerdings, die mir geradezu absurd vorkommende Gesamtsumme vor Augen, ist mir die Fähigkeit vergangen, ein gutes Wort für Sarah einzulegen. Hatten wir nicht ungefähr tausend Mal gesagt, wie viel Geld wir maximal ausgeben können? Hatte Sarah nicht gesagt, ein Neubau wäre nicht viel teurer als die Sanierung und Erweiterung des alten Hauses? Verdammt noch mal, wie hatte es zu einer solchen Summe kommen können? Ich habe Sarah eine Mail geschrieben: »Das wird leider ein schwieriger Termin morgen. Wenn die Grundrissplanung so anspruchsvoll ist, dass die Umsetzung am Ende die von Euch genannten Kosten verursachen wird, dann ist irgendetwas von Anfang an schiefgelaufen. Ich werde keine Sekunde schlafen können: Diese Zahl ist, ehrlich gesagt, ein Albtraum.«
    Nachdem mein Mann nach Hause gekommen war, ist er wie erwartet explodiert und danach in sich zusammengefallen wie eine entstöpselte Luftmatratze. Jetzt liegen wir beide wach.
    Als am nächsten Morgen um Viertel nach sechs der Wecker klingelt, fühle ich mich wie gerädert. Ich kann nicht frühstücken, stattdessen übergebe ich mich mit leerem Magen noch vor dem Duschen. Ich schleppe mich zur Arbeit. Ich lasse mich auf meinen Bürostuhl fallen und verkünde mit Tränen in den Augen und Kloß im Hals jedem, der sich in mein Zimmer verirrt, dass wir entweder ruiniert sind oder doch kein Haus bauen werden. Die Resonanz ist verhalten.
    Es gibt Lebenskrisen mit Mitleidsgarantie. Wer an einer ernsten Krankheit leidet, vom Ehemann jahrelang mit der Nachbarin betrogen wurde, ungewollt kinderlos bleibt oder aus Rationalisierungsgründen den Job verliert, wer unverschuldet zum Schicksalsopfer wird, der hat ein Recht darauf, dass seine Mitmenschen ihn aufrichtig bedauern. Baukrisen fallen nicht in diese Kategorie.
    Zum Hausbauen wird niemand gezwungen. Es ist ein Lebensprojekt, das man sich ganz und gar freiwillig

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