Ich glaube, der Fliesenleger ist tot!
über Fragen, es hilft nichts, ich muss Katja gleich noch einmal anrufen.
»Katja, entschuldige bitte, ich bin es schon wieder, ich weiß, ich nerve, aber ich muss dich noch etwas fragen: Können Öl und Benzin auch horizontal durch den Boden sickern? Ich meine, zum Beispiel von einer Tankstelle unten an der Straße bis in unser Grundstück?«
Katja kichert.
»Hihi«, kichert sie. »Ich würde sagen, das ist sehr unwahrscheinlich.«
»Ihr habt gesagt, wir sollen es euch immer sofort sagen, wenn wir uns Sorgen machen!«, sage ich. »Ich mache mir Sorgen! Was bedeutet: Der Bodengutachter hat Öl gefunden?«
»Das bedeutet, dass er mit der Fußspitze ein bisschen in der Erde herumgewühlt und ein paar ölige Sandklumpen entdeckt hat«, sagt Katja. »Das findet man ganz oft auf Baustellen, da muss nur mal ein bisschen Diesel aus einem Bagger tropfen.«
»Du glaubst also wirklich nicht, dass das Grundstück total verseucht ist und wir es sanieren müssen?«, frage ich.
»Nein«, sagt Katja. »Wieso sollte das passieren?«
Ganz einfach. Weil so etwas schon anderen passiert ist. Meiner Kollegin Ulrike zum Beispiel.
Ulrike und ihr Lebensgefährte wohnten schon viele Jahre lang zur Miete in einem schönen, zentral gelegenen Altbau in Hamburg, als die Wohnungen im gesamten Haus den Mietern zum Kauf angeboten wurden. Sie akzeptierten das Angebot, investierten ihre Ersparnisse, nahmen zudem einen Kredit auf und kauften. Zwei Jahre später erhielten sie und die anderen Eigentümer von der Stadt Hamburg die Nachricht, dass das Grundstück, auf dem ihr Haus steht, einer Bodenanalyse unterzogen werden müsse.
Ulrike und ihr Partner waren 1987 in das Haus gezogen. Was ihnen damals und auch später niemand gesagt hatte: Zwanzig Jahre lang, von 1961 bis 1981, hatte es im Erdgeschoss des Hauses eine chemische Reinigung gegeben. Nun hatte die Umweltbehörde beschlossen, alle Hamburger Grundstücke, auf denen jemals eine Reinigung betrieben worden war, systematisch auf Schadstoffe hin zu untersuchen. Es stellte sich heraus, dass das Grundstück hochgradig verseucht und das Grundwasser gefährdet war. Die Umweltbehörde teilte mit, es müsse saniert, der gesamte Boden müsse ausgehoben und entsorgt werden. Dies zu tun, ohne dabei die Bausubstanz des Hauses zu gefährden, wäre eine extrem komplizierte und aufwendige Maßnahme. Geschätzte Kosten: drei bis acht Millionen Euro. Zu tragen von: der Eigentümergemeinschaft. Denn Ulrike und ihr Partner wie auch alle anderen Eigentümer hatten beim Kauf der Woh nung die gleiche Vereinbarung unterzeichnet, über die ich bei unserem Notartermin leichtfertig gewitzelt hatte: »Der Verkäufer erklärt, dass ihm gegenwärtige oder frühere Bodenveränderungen oder Altlasten im Sinne des BBodSchG nicht bekannt sind. (…) Der Notar (…) hat insbesondere darauf hingewiesen, dass der Käufer etwaige Sachmängel grundsätzlich auf eigene Kosten beseitigen müsste.«
Die Eigentümergemeinschaft engagierte einen Anwalt und legte Widerspruch ein. Der Anwalt erklärte, die rechtliche Lage sei eindeutig. Die Eigentümer würden zahlen müssen. Alles, was er tun könne, sei zu versuchen, die Sache möglichst in die Länge zu ziehen und am Ende einen Vergleich zwischen der Stadt und den Eigentümern zu erzielen. Seither sind zehn Jahre vergangen, das Verfahren ist immer noch nicht abgeschlossen. Seit zehn Jahren bekommt Ulrike Herzrasen, wenn sie den Briefkasten öffnet und einen Brief vom Anwalt oder von der Stadt Hamburg darin findet.
»Aber nicht mehr so schlimm wie früher«, hat Ulrike gesagt. »Man gewöhnt sich zum Glück an alles. Sonst dreht man ja durch.«
Die Rechtslage hat sich mittlerweile geändert: Die Summe, für die Privateigentümer in solchen Fällen zur Rechenschaft gezogen werden können, wurde auf das Maximum des Ver kehrswertes der Immobilie begrenzt. Sprich: Im allerschlimmsten Fall muss die Eigentümergemeinschaft nur so viel zahlen, wie das Haus ohne Belastung wert ist. Sie könnten ihre Wohnungen also notfalls verkaufen, um die Forderungen der Stadt zu begleichen.
»Und im besten Fall?«, habe ich Ulrike gefragt.
»Im besten Fall gibt es einen Vergleich, und wir müssen nur fünfzigtausend Euro zahlen«, hat Ulrike geantwortet. »Dann schmeiße ich eine Riesenparty.«
Wann immer Ulrike ihre Geschichte erzählt, hängen die Zuhörer ihr schaudernd an den Lippen. Ulrike weiß natürlich, was alle denken: Oh mein Gott, die Arme! Und: Zum Glück haben wir solche Probleme
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