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Ich glaube, der Fliesenleger ist tot!

Ich glaube, der Fliesenleger ist tot!

Titel: Ich glaube, der Fliesenleger ist tot! Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: J Karnick
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Dielenboden.
    »Jetzt müssen wir Sie aber doch mal was fragen«, sagte einer der Arbeiter, nachdem ich mal wieder das Übliche, eine Runde Kaffee und Gebäck, auf der Baustelle serviert hatte. Er lehnte sich nach vorne, mir entgegen, und senkte verschwörerisch die Stimme: »Stichwort Bretterverschalung. Wer hat Sie denn auf die Idee gebracht?«
    Handwerker müssen ihre Arbeit ordentlich machen. Wozu sie nicht verpflichtet sind, ist, das Ergebnis ihrer hoffentlich ordentlich gemachten Arbeit zu mögen. Die Vorstellung, dass es Menschen gibt, die es sich leisten können, ein Haus zu bauen, jedoch darauf verzichten, die Zimmerdecke anständig verputzen und streichen zu lassen, um stattdessen unter Rohbeton in Holzoptik zu wohnen, schien den Männern im Bauwagen offenbar genauso unglaublich, wie mir die Vorstellung erschien, dass man zwischen Türrahmen überleben kann, die mit Kunststofffolie in Holzoptik überklebt sind. Aufgrund der Betonung, die der Sprecher auf das Wort »die« gelegt hatte, war klar, was er und seine Kollegen eigentlich wissen wollten: »Wer hat Sie denn auf so einen Schwachsinn gebracht?«
    »Unsere Architektin«, sagte ich.
    »Ach so«, sagte der Bauarbeiter. »Ihre Architektin.«
    Er nickte zufrieden, die anderen drei Bauarbeiter nickten mit, so als sei ihre gemeinsame Welt nun wieder in Ordnung, weil ich bestätigt hatte, was sie schon lange wussten: Auf so einen Scheiß können auch nur Architekten kommen.
    »Wir finden das super«, sagte ich, woraufhin die Bauarbeiter leicht den Kopf schüttelten und die Stirn in »Das meinen Sie doch wohl nicht ernst«-Falten legten.
    »Und Ihr Chef«, fügte ich hinzu, »der war auch total begeistert davon, dass er mal ein Haus bauen kann, das ein bisschen anders aussieht als die, die er sonst immer baut!«
    Die Bauarbeiterstirnfalten glätteten sich mit einem Schlag, dafür rissen die Männer ungläubig bis fassungslos die Münder auf. Tatsächlich war Herr Dammann Feuer und Flamme für die Bretterverschalung gewesen. Er hatte lange mit Sarah darüber diskutiert, was am Ende besser aussähe – wenn man die Bretter quer zur Hausfront verbaue oder längs.
    »Die Bretterverschalung ist eine alte Technik«, hatte er mir erläutert. »So hat man Verschalungen früher immer gebaut. Wir haben das allerdings noch nie gemacht. Man muss die Bretter sehr sorgfältig legen, das Holz darf nicht zu nass werden, dann quillt es auf und schiebt sich übereinander. Und es darf nicht zu trocken werden, dann zieht es sich zusammen, und die Fugen werden zu groß. Eine echte Herausforderung. Ich bin schon ganz gespannt, wie das aussehen wird.«
    Ich sagte zu den Bauarbeitern, was ich zu mir selbst gesagt hatte, nachdem Herr Dammann mir gestanden hatte, dass wir seine erste Bretterverschalung waren: »Na ja, und wenn es uns am Ende nicht gefällt, dann können wir die Decke ja immer noch verputzen lassen.«
    »Das können Sie«, sagte der Bauarbeitersprecher. »Zum Glück können Sie das.«
    Auch nach dem Richtfest ist auf der Baustelle keine Katastrophe mehr geschehen. Es ist nämlich so gut wie gar nichts mehr geschehen seither.
    Schon im September hatte es ständig und an manchen Tagen sintflutartig geregnet. Seit dem Richtfest gießt es gefühlte vierundzwanzig Stunden täglich in Strömen, und zwar sieben Tage die Woche. Es ist Mitte November, im Haus stehen riesige Pfützen, an den Ytong-Wänden stürzen Wasserfälle im Niagaraformat hinab, der Richtkranz ist im Sturm vom Holzbalken geweht worden und liegt im Sand, das rot-weiße Krepppapier hat der Regen längst blass gespült. Das Haus sieht nicht mehr nach Zukunftsprojekt aus, sondern nach Bauruine.
    Eigentlich hätte schon längst mit der Abdichtung des Daches begonnen werden sollen. Aber der Flachdachspezialist beantwortet jede Nachfrage, wann er denn wohl mal loslegen könne mit der Arbeit, nur noch mit einem Seufzer und drei Worten: »Tja. Das Wetter!«
    Ich kann es wissenschaftlich nicht belegen, bin aber sicher: Das hier ist der wettermäßig schlechteste Herbst seit Erfindung der Erde. Täglich mehrmals öffne ich auf meinem iPhone die Wetter-App, abends fiebere ich dem Wetterbericht entgegen. Was ich sehe und höre, macht mich nicht glücklich. Irgendein mieses Tief hat sich in den norddeutschen Himmel verbissen. Ich schaffe es kaum, das nicht persönlich zu nehmen: »Ich weiß nicht warum, aber Gott will nicht, dass wir bauen.«
    »Das glaube ich auch«, sagt mein Mann. »Das Haus wird niemals fertig werden.

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